Zitat von
BlackVelvet
Vielleicht kann ich das n noch ein wenig erhöhen. Man muss das ganze sicherlich differenzierter sehen. Ich habe selbst sowohl an der Uniklinik als auch in verschiedenen Pharmafirmen, jeweils im Specialty Care Bereich gearbeitet und tue dies mit eigenem Team auch aktuell. Ich werde auch definitiv nie wieder arbeitstechnisch einen Fuß in eine Klinik setzen, was das Thema Teamarbeit, Hieararchiegefüge und Mitarbeiterfokus angeht, herrscht dort leider tiefstes Mittelalter. Das soll kein Klinikbashing oder ähnliches sein, ich habe auch die praktisch ärztliche Tätigkeit gemocht aber nicht in den Rahmenbedingungen der aktuellen Kliniklandschaft.
Da mich klinische Forschung immer sehr viel interessiert hat, ist die Industrie eine Top-Alternative, die ich jedem der sich für die Thematik interessiert nur ans Herz legen kann.
Das man in der Klinik mehr Geld verdient ist für die Firmen, die ich kenne sicherlich nicht richtig. Als Studienabsolvent ohne Berufserfahrung sind die hier genannten Traineeprogramme über 18 Monate eine realistische Option, Einstiegsgehalt ca. 75k plus ggf. Benefits, danach typischerweise Übernahme einer Position als Medical Advisor oder im Außendienst als MSL. Alternativ 2 Jahre Berufserfahrung in der Klinik und Direkteinstieg als Medical Advisor, gehaltstechnisch dort nicht unter 100k aber typischerweise auch nicht über 130k, je nach Berufserfahrung bewegt sich das in dieser Range. Realistische Arbeitszeit wie ich sie in verschiedenen Firmen kennengerlernt habe 40-50 Stunden / Woche, Wochenendarbeit 3-4/Jahr durch Kongressbesuche, die aber im Vergleich zur Klinik extrem viel besser vergütet werden (wobei für mich als Klinikarzt Kongressbesuche am Wochenende nie Arbeitszeit waren und unter der Woche teilweise Urlaub genommen werden musste). Als Assistenzarzt mit Diensten war ich damit auf Stufe 1 als auch mit 2 Jahren Berufserfahrung auf Stufe 3 auf jeden Fall weit weg, das wird heute nicht groß anders sein. Wenn man die betriebliche Altersvorsorge sowie Benefits wie Dienstwagen noch mit hinzunimmt sieht die Rechnung noch ganz anders aus, die VBL ist einfach ein schlechter Witz gegen die Industrieprogramme.
Braucht man einen Facharzt um Karriere zu machen? Vor 15 Jahren sicherlich besser, heute definitiv nein, 1-2 Jahre klinische Erfahrung helfen aber immer, sind aber auch kein absolutes muss. Man muss vom Fokus her auch nicht immer in den typischen Medical Affairs Abteilungen bleiben, Bereiche wie Market Access oder Clinical Operations können auch sehr interessant sein, genauso wie in den Headquarters External Partnerin bei frühen Entwicklungsprojekten.
Warum werden so "aufwendige" Bewerbungsverfahren geführt statt einen Bewerber mehr oder weniger vorbereiten einen Tag durch die Klinik laufen zu lassen? Weil man die Leute wirklich kennenlernen will und gucken muss, ob Sie gut in das Team passen und man das potential sieht sie weiterentwickeln zu können. In der Klinik gehts aus meiner Erfahrung meistens nur darum ne zusätzliche Arbeitskraft zu finden, damit der sowieso viel zu hohe Workload auf mehr Schultern verteilt werden kann, wenn derjenige dann nach fertiger Arbeit und 2 Überstunden noch for free Forschung macht, umso besser. Mein letztes Mitarbeitergespräch mit dem Chef an der Uni lief wie folgt "Wir müssen das hier leider machen aber ich hab auch nur 5 Minuten für Sie, wie läufts denn gerade?". Dafür würde in der Industrie eine Führungskraft früher oder später Ihren Job verlieren. Kann man auch mit aufwendigerer Bewerbungsverfahren ins Klo greifen? Sicher aber die Wahrscheinlichkeit ist geringer und allein der Wille solche Prozesse aufzusetzen zeigt schon viel.
Das heißt aber auch nicht, dass man vor allem im ambulanten Bereich mit Facharzt nicht auch gut praktisch arbeiten kann. Dazu habe ich persönlich allerdings null Erfahrung, dafür hier viele andere umso mehr. Für Leute die sich allerdings nur durch die Klinik quälen um irgendwann schnell in den ambulanten Bereich zu wechseln, um den Arbeitsbedingungen zu entgehen sowie die Wort-Life-Balance zu verbessern und sich für Forschung und Wissenschaft interessieren, ist Industrie definitiv ein guter Weg, den man sich ansehen soll. Ich habe diesen auf jeden Fall nicht bereut.