Deine Fragen
finde ich für jemanden, der am Anfang seines Studium steht und noch nicht viel im Krankenhaus erlebt hat, bereits relativ sinnvoll und wirklichkeitsnah.- Ist der Arztberuf im allg. noch erfüllend? Oder hat man ein idealisiertes Bild?
- Macht Ihr trotz horrender Arbeitsbelastung euren Job noch gerne?
- Ist die Arbeit eines Arztes größtenteils monoton bzw. sind bürokratische Arbeiten überdimensioniert?
- Ist der erneute Einstieg in die Berufswelt mit 40 eine Zumutung? Kann ich hier noch meinen Beitrag leisten?
- Ist die Assistenzzeit schön oder eher ein quälender Teil der Ausbildung?
Dennoch glaube ich, dass es nicht funktioniert, auf Basis dieser Dinge einzuschätzen, ob einem der Beruf als Arzt dann später Freude bereiten wird und man sich "richtig" fühlt. Die Belastungen im Studium und im Beruf sind letzten Endes fast immer ganz andere als die, die man sich vorstellt. Genau wie sich der Wunsch der Fachrichtung bzw. dessen, was man mit dem Medizinstudium anfangen will, bei den meisten oder mindestens vielen vom Beginn des Studiums bis zum Ende des Studiums verändert. Mich stört zum Beispiel der bürokratische Anteil an meiner Arbeit fast überhaupt nicht, Routineaufgaben auch nicht, obwohl ich bei Beginn des Studiums und vorher jahrelang gesagt habe, daß ich "was mit Menschen arbeiten" und "keinen Schreibtischjob" will. Als jemand, der in der Industrie gearbeitet hat, wirst du später im Krankenhaus Vergleiche ziehen können, die andere nicht haben, und manches überraschend positiv finden, anderes aber überraschend negativ.
Eine Sache, die umfassend eigentlich für jeden gilt, der mit Anfang / Mitte 30 noch ein Medizinstudium anfängt, ist die Tatsache, dass man in fast jedem medizinischen Bereich mit Nachtdiensten und Bereitschaften zu allen Tagen konfrontiert wird. Selbst Oberärzte im Krankenhaus werden noch regelmäßig nachts geweckt und verbringen Wochenenden im Krankenhaus, wenn auch nicht mehr in dem Ausmaß wie der Vordergrund-Dienst. Mir haben andere Leute immer schon gesagt, dass das mit zunehmendem Alter immer anstrengender wird, und nachdem ich früher Nachtdienste sogar eher gut fand und generell das Gefühl habe, dass sie mich weniger belasten als den Durchschnittsmenschen, so muß auch ich sagen, dass mir die unregelmäßigen Arbeitszeiten ab ca. dem 35. Lebensjahr einfach immer schwerer fielen und mit sehr steiler Tendenz immer schwerer fallen. Wohlgemerkt, die Nächte bedeuten (je nach Dienstbelastung) nicht einfach nur, dass du halt nachts arbeitest, sondern dass du dich auch generell die nächsten Tage danach noch müde fühlst oder sogar insgesamt nicht mehr gut schläfst. Nachtdienst macht dick, Nachtdienst macht Diabetes, Nachtdienst erhöht das Krebsrisiko, Nachtdienst macht psychische Unausgeglichenheit, Nachtdienst kostet Freundschaften und Beziehungen. Ich kann mir nicht erklären, wie Menschen wie Polizeibeamte den Schichtdienst überhaupt über das 40. Lebensjahr hinaus durchhalten. Vielleicht spielt eine Rolle, dass die immerhin weniger Wochenstunden arbeiten als ein Arzt? An der Tatsache, dass man sich mindestens 5 Jahre lang während der Facharztausbildung, eher sogar länger, dem lebenszerstörenden Rhythmus der Tag-Nacht-Feiertag-Bereitschaft für die Armen, Kranken und Gebrechlichen ausliefert, läßt sich jedenfalls nichts ändern, außer eben man flüchtet in eins der patientenfernen Felder. Aber dafür braucht man dann als promovierter Physiker auch nicht Medizin zu studieren.
Hast du mit (optimalerweise) 39 bis 44 Jahren wirklich Lust, dir regelhaft die Nächte um die Ohren zu schlagen, mindestens 4 im Monat, je nach Fachrichtung gerne auch mal 8 oder 10 oder sogar 12 (Schichtdienst auf Intensiv), regelhaft 2 bis 3 Wochenenden um die Ohren zu schlagen, dazu ständige kurzfristige Dienstplanänderungen, so dass man sich nicht mal auf 6 Wochen im voraus geplante Termine verlassen kann? Mit allen Auswirkungen aufs Sozialleben? Mit allen Auswirkungen auch auf dein späteres Leben? Freunde im gleichen Alter werden sich in ihren 40ern schon mit ganz anderen Dingen beschäftigen, ganz andere Weichen stellen als du, dessen Alltag daraus besteht, für eine schwangere Kollegin einzuspringen, die keine Dienste mehr machen darf.
Eine ehemalige Kollegin von mir hat auch in deinem Alter Medizin studiert, das Studium in Regelstudienzeit abgeschlossen. Das Studium fiel ihr psychisch auch nicht schwer, da sie sich von vielem nicht so ins Bockshorn jagen ließ wie die jüngeren Kollegen, allerdings hatte sie immer das Gefühl, dass sie schwerer lernt als die jüngeren. Außerdem mußte sie ja noch nebenher arbeiten. Ihren Kinderwunsch hat sie dem Wunsch, Ärztin zu werden, untergeordnet. Fachlich war sie sicherlich unterdurchschnittlich qualifiziert, als sie zu arbeiten anfing. Vor allem aber haben die Dienste sie körperlich unfassbar geschlaucht, und sie hat in den Diensten auch regelmäßig Fehler gemacht, teils schwerwiegende. Sie hatte permanent das unbefriedigende Gefühl, viel mehr zu arbeiten als alle anderen, aber wenn man durchzählte, stellte man fest dass niemand in der Abteilung so wenige Dienste hatte wie sie. Glücklich war sie mit ihrer Wahl zumindest die ersten zwei bis drei Jahre schon, allerdings mit stark abnehmender Tendenz, vor allem wegen der Arbeitsbelastung und wegen dem weitgehenden Fehlen von Dankbarkeit und Anerkennung von Patientenseite und Vorgesetzten, mit dem sie irgendwie in dem Ausmaß nicht gerechnet hatte. Aus dem Gefühl der Berufung wurde der Wunsch, einfach nur die Facharzt-Weiterbildungszeit irgendwie durchzuhalten und dann mit Ende 40 in eine Dorfpraxis zu können, mit allen Hoffnungen, die sie damit verbindet. Inzwischen habe ich kaum noch Kontakt und weiß nur, dass sie sich an ihrer neuen Stelle inzwischen immer wieder wochenlang krank meldet und sich damit bei den Kollegen und Vorgesetzten nicht beliebt macht.
Ein anderer ehemaliger Kollege (Jurist mit Prädikatsexamen), der um der Erfüllung willen spät Medizin studiert hat, hat nach 1 oder 2 Jahren in zwei verschiedenen patientenversorgenden Fachrichtungen relativ pragmatisch das Handtuch geworfen und ist zum Krebsregister gegangen. Da hätte er wahrscheinlich auch als Jurist ohne Medizinstudium arbeiten können.
Das sind Einzelanekdoten, die für dich keine Bedeutung haben.
Aber ich würde mir an deiner Stelle auf jeden Fall neben den von dir angesprochenen Fragen, deren Beurteilung durch dich sich im Verlauf von Studium und Beruf durchaus ändern können, vor allem sehr ernsthafte Gedanken darum machen, ob du bereit bist, dich im Alter von Anfang/Mitte 40 für mindestens 5 Jahre diesem Moloch auszuliefern, der die Facharztweiterbildung ist.
Dabei sollte dir auch bewußt sein, daß auch die abgeschlossene Facharzt-Ausbildung nicht das Ende vom Lied ist, sondern nur der Türöffner, um
1) noch ein paar Jahre länger unter ähnlichen, etwas verbesserten Bedingungen im Krankenhaus zu arbeiten (als Facharzt dann vielleicht in Teilzeit oder weniger Dienste oder gelegentliche Hintergrund-Dienste statt Vordergrund) und dann hoffentlich Oberarzt zu werden (wahrscheinlich nicht in Teilzeit) und sich die Hintergrund-Bereitschaften mit 2 bis 4 Kollegen zu teilen (bedeutet ca. jeden 3. Tag Hintergrund-Dienst und mindestens ein komplettes Wochenende pro Monat 48h Hintergrund-Bereitschaft), oder
2) in eine Praxis zu gehen (je nach Ort und Fachrichtung einfach zu bekommen oder fast unmöglich), entweder angestellt oder selbständig, hoffentlich mit dem Gefühl, dafür auch gut genug ausgebildet zu sein und es sich zuzutrauen, hoffentlich brauchbares Geld zu verdienen, hoffentlich auch den bürokratischen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen der Praxis und dem Paar-Minuten-Takt im Patientenkontakt der Praxis gewachsen zu sein und es zu mögen und innerhalb der 20 Jahre, die dir verbleiben, die Kosten für die Praxis wieder reinzuholen, in Ungewissheit, ob dir in 20 Jahren für die Praxis noch jemand etwas bezahlt oder ob sich irgendwelche anderen Voraussetzungen der Kassenärztlichen Vereinigung bis dahin sowieso ändern. Ärztliche Bereitschaftsdienste gibts auch noch in der Praxis, aber die kann man meistens an andere abgeben, wenn man keine machen will. Die meisten sind irgendwann in der Praxis glücklich oder zumindest zufrieden.
3) Kannst du natürlich auch nach der Facharztbildung der kurativen Medizin Lebewohl sagen, aber das Thema hatten wir schon - dafür brauchst du als promovierter Physiker nicht Medizin zu studieren.
Genau wie Medizin ist auch Physik ein Studium, mit dem man viele verschiedene Dinge machen kann, wenn ich auch zugeben muß, dass die Arbeitsplatzsicherheit für Physiker bei weitem nicht so komfortabel ist wie für Mediziner und dass die Möglichkeiten für Physiker, in andere Bereiche zu wechseln, mit steigendem Alter und Berufserfahrung wahrscheinlich auch abnehmen. Aber rational betrachtet: Glaubst du nicht, dass du mit einem Wechsel als Physiker in einen anderen Bereich am Ende glücklicher wärst, weil du im Alter von 40 bis 50 Jahren dann mehr Gestaltungsmöglichkeiten hättest, als wenn du dich dem Arztberuf auslieferst? Gäbe es vielleicht alternativ die Möglichkeit, in Teilzeit weiterhin als Physiker irgendwo zu arbeiten, und dafür nebenher irgendwas zu machen, worauf du Lust hättest, aber nicht eine dermaßen aufwändige, mindestens 11,5-jährige Ausbildung machen müßtest? Irgendwas, wo du auch mit Menschen zu tun hättest? Ferienwohnungen vermieten? Rettungssanitäter-Ausbildung machen (sind glaube ich nur 3 Monate) und bißchen Rettungsdienst und Krankentransporte nebenher fahren? Irgendwo unterrichten? Pilotenschein machen und als Fluglehrer arbeiten? Ich kenne einen Airline-Piloten, der 2-4 Schichten Rettungsdienst pro Monat fährt, einen Feuerwehrmann, der als Nebentätigkeit LKW und in der Saison Erntefahrzeuge fährt, einen Elektriker, der nebenher beim Bestatter arbeitet, und einen Arzt, der inzwischen mehr in einer Autowerkstatt arbeitet als im Krankenhaus. Physiker in der Strahlenheilkunde oder in der Radiologie haben auch kein schlechtes Leben, glaube ich. Teilzeit-Stellen gibts da auch.
Ich will nicht pauschal vom Medizinstudium abraten, aber ich glaube, dass es ein schwieriger und ungewisser Weg ist und Kompromisse erfordert, die insbesondere bei höherem Alter größer sein können, als der Kompromiss, im bisherigen Beruf - möglicherweise mit einer Veränderung - weiterzuarbeiten und sich die fehlende Befriedigung woanders zu holen. Sinnlose Meetings (nennt sich bei uns Besprechung) und andere zu nichts führende Beschäftigungen hat man übrigens in so gut wie jedem Beruf und auch als Arzt mehr als genug davon, gerne auch nachts, morgens nach dem Nachtdienst oder in der 3. Überstunde. Für mich persönlich haben sich die Entbehrungen des Medizinstudiums und der Facharzt-Ausbildung meiner Meinung nach nicht gelohnt, obwohl ich jünger war.