Da siehst du aber auch direkt den Unterschied zu dir. Ich schätze mal, dass der auch knapp über 30 ist (oder noch jünger) und jetzt im 4. Weiterbildungsjahr. Glaubst du, dass du, wenn du mit Anfang 40 da anfängst, einer von den wenigen bist, der in der Weiterbildungszeit zum Facharzt tatsächlich operieren lernt? Es fängt schon damit an, dass du möglicherweise nicht mal ne Stelle in der Augenheilkunde bekommen würdest, weil es eine Menge 15 Jahre jüngere Bewerber gibt. Nicht nur irgendwann die Facharztreife bescheinigt zu bekommen, sondern tatsächlich ausgebildet worden zu sein - das sind auch nochmal zwei ganz verschiedene Paar Schuhe. Und auch da bist du mit 40 in einer schwächeren Position als mit 25.
Zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr ändert sich erheblich das Bewußtsein der Menschen darüber, wie schnell das Leben vergeht, und daß man nicht unendlich Zeit hat und nicht alles erreichen kann, sondern jeder irgendwann auch mal abwägen muß, was einem wichtig ist.
Das bedeutet aus Chefarzt-Sicht auch, daß man ältere Nicht-Fachärzte (genau wie ausländische Ärzte) für manche Positionen auch besonders gern einstellt, aber nicht unbedingt für die Tätigkeiten, bei denen sie besonders viel lernen. Die kann man ruhig auf Station versauern lassen, denn wer mit 40 noch mit dem Facharzt anfängt, weiß (oder lernt), daß er eh kein interventioneller Kardiologe oder Anästhesist in der Herzchirurgie mehr wird (oder werden will), sondern der will nur die Zeit für den Facharzt (auf dem Papier) absitzen, die nötigen Basics lernen und am Ende bescheinigt haben, daß er angeblich alles kann, damit er zur Prüfung zugelassen wird. So war es zumindest bei allen "alten" Ärzten in Weiterbildung, die ich kennengelernt habe.
Auf der anderen Seite nerven "ältere" Ärzte in Weiterbildung den Chef auch teilweise, weil die sich nicht mehr so alles gefallen lassen, was sie sich nicht gefallen lassen müssen, eben auch deshalb, weil sie wissen, daß sie woanders auch schon mal besser behandelt worden sind, oder weil sie wissen, daß sie eh keine Karriere mehr machen, oder weil sie wissen, daß ihre wenige Lebenszeit auch echt was wert ist. Während so manchem 25jährigen auf dem Weg zum Herzchirurgen noch nicht mal auffällt, daß sein 24h-Dienst an Weihnachten auf der Stunden- und der Lohnabrechnung, die er eh nie anschaut, nicht auftaucht und somit mit 0 Cent bezahlt wird, fällt das dem 35jährigen schon auf und er streitet sich mit dem Chef und der Verwaltung deswegen rum, daß sein sauer verzichtetes Weihnachtsfest nicht vergütet wird. Wenn der 35jährige Facharzt ist und somit auch einiges mitbringt, dann geht das schon so, aber wenn der 35jährige Assistent im 1. Jahr ist, dann nervt einfach nur, dass er so einen Stress macht, bloß weil er für einen Dienst nicht bezahlt worden ist. Was will der eigentlich?
Du kannst ruhig Medizin studieren, ist auch ein interessantes Studium und bereits das Studium bringt viele interessante Erfahrungen mit sich. Nur ist es auch anstrengend, und wenn du fertig bist, wirst du feststellen, dass du auch als Arzt ganz schön viele Kompromisse machen mußt - in deinem Alter noch mehr als andere. Ich halte es für relativ wahrscheinlich, dass du nach einem Medizinstudium oder nach wenigen Jahren als Arzt plötzlich doch in ein mehr oder weniger patientenfernes Gebiet möchtest. Vielleicht findest du auch trotzdem, dass das Medizin-Studium dich weitergebracht hat, und bereust es auch gar nicht. Tendenziell glaube ich, dass du als Physiker dir eher mehr Gestaltungsmöglichkeiten sowohl beruflich wie auch privat erhältst, wenn du dich innerhalb deiner jetzigen Möglichkeiten umschaust, als jetzt noch Medizin dazu zu studieren. Und meiner Meinung nach sind es in erster Linie eigene Gestaltungsmöglichkeiten, die "Erfüllung" bringen, nicht Patientenkontakt oder kein Patientenkontakt oder Arzt oder nicht Arzt.
Übrigens ist bei dir nicht freigeschaltet, dass man dir persönliche Nachrichten schreiben kann. Wenn es freigeschaltet wäre, würde ich dir noch was schreiben, was ich hier nicht schreibe.