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Christoph_A
22.07.2021, 08:46
Wo außerhalb Deutschlands wird denn dieser Traum wirklich gelebt, in Kleinstaaten wie Estland und Luxemburg vlt, in großen Flächenstaaten außerhalb der Großstädte wohl auch eher nur so mäßig.
Wenn man glaubt, in einer Zentralisierung das Heil des Gesundheitssystems zu sehen, ist man meiner Meinung nach auf dem Holzweg.
Gerade in meinem Job leben wir davon, daß es eine flächendeckende Anzahl von Herzkatheterlaboren gibt (Stichwort time is muscle, soll ja durchaus evidenzbelegt sein....), ähnlich verhält es sich bei den Stroke units und gilt auch für viele andere Notfälle (siehe anignus Beispiel mit der Aortendissektion). Und die Anzahl an Eingriffen eines Hauses sagt nur bedingt etwas über die konkrete Erfahrung des den akuten Eingriff durchführenden Operateurs/Interventionalisten aus. Jemand der 1000e Herzkatheter gemacht hat, wird die auch an nem kleineren Haus mit vlt jetzt nur 4-5 Koros am Tag und 1 PTCA besser machen, als der junge OA am maximalversorger, der vlt insgesamt erst 500 Koros gemacht hat. So fair muß man in dieser ganzen Mindestzahlendebatte schon sein.
Ich sehe das auch irgendwie zweischneidig. Einerseits denke ich, es gibt wirklich Fälle, die nicht in ein kleines Haus gehören - egal wie sehr die Chefs denken, sie schaffen das schon. Oder Sachen, die bei einem Spezialisten besser aufgehoben sind.
Andererseits sehe ich in meinem Fach auch zunehmende Zwänge, die meiner Meinung nach nicht sein müssen. Das Neueste sind jetzt hüftgelenksnahe Frakturen, also Schenkelhälse und pertrochantäre Frakturen. Es gibt die Forderung, dass sowas innerhalb von 24h operiert werden MUSS. Wer das nicht leisten kann, darf das nicht mehr operieren. Und zufälligerweise war gerade jetzt im Ärzteblatt eine Studie darüber, ob sich eine Verzögerung des OP Zeitpunkts negativ auf das Outcome auswirkt. Und siehe da: tut es NICHT. Erst bei den pertrochantäre Frakturen gab es ab dem 2. Tag nach Aufnahme einen signifikanten Unterschied. Wozu also der Zwang??
Ich glaube, sehr viel steht und fällt mit dem Chef und den Operateuren. Wenn ich jemanden habe, der fit ist und sich auch fit hält, ist das gut für den Patienten. Wenn ich jemanden habe, der genauso vor sich hin wurschtelt, wie er das seit 20 oder 30 Jahren macht, dann ist das schei*e. Sowas hab ich übrigens schon sowohl bei einem Grund- und Regelverorger als auch bei einem Maximalversorger erlebt. Allein auf die Grüße kommt es also nicht an.
Evidence based
22.07.2021, 10:22
Wo außerhalb Deutschlands wird denn dieser Traum wirklich gelebt, in Kleinstaaten wie Estland und Luxemburg vlt, in großen Flächenstaaten außerhalb der Großstädte wohl auch eher nur so mäßig.
Wenn man glaubt, in einer Zentralisierung das Heil des Gesundheitssystems zu sehen, ist man meiner Meinung nach auf dem Holzweg.
Gerade in meinem Job leben wir davon, daß es eine flächendeckende Anzahl von Herzkatheterlaboren gibt (Stichwort time is muscle, soll ja durchaus evidenzbelegt sein....), ähnlich verhält es sich bei den Stroke units und gilt auch für viele andere Notfälle (siehe anignus Beispiel mit der Aortendissektion). Und die Anzahl an Eingriffen eines Hauses sagt nur bedingt etwas über die konkrete Erfahrung des den akuten Eingriff durchführenden Operateurs/Interventionalisten aus. Jemand der 1000e Herzkatheter gemacht hat, wird die auch an nem kleineren Haus mit vlt jetzt nur 4-5 Koros am Tag und 1 PTCA besser machen, als der junge OA am maximalversorger, der vlt insgesamt erst 500 Koros gemacht hat. So fair muß man in dieser ganzen Mindestzahlendebatte schon sein.
Das war ein Misverständnis - ich bezog mich nur auf die flächendeckende Verfügbarkeit von schnellem Internet.
Und ja, natürlich muss die Verfügbarkeit von Herzkatheterlaboren, Stroke Units etc gewährleistet sein. Aber das ist in dem aktuellen System außerhalb von Großstädten ja eben häufig nicht der Fall. Um Notfälle ging es mir primär auch nicht, ehr um planbare, größere Eingriffe.
Zahlen sind relativ, ich bin da auch kein großer Freund von. Aber eine Konzentration von Expertise gepaart mit Routine bei allen Beteiligten macht in vielen Fällen Sinn.
Christoph_A
22.07.2021, 10:37
Naja, denke, an Katheterlaboren mangelt es hier jetzt eher nicht, da sind wir so ziemlich europäische Spitze und das ist jetzt auch nicht des verkehrteste.
Ich bin völlig bei Dir, natürlich gehören bestimmte große Eingriffe an Zentren und nicht in jedes Dorfkrankenhaus, aber der Trend, klassische OPs/Eingriffe an immer größere Kliniken outsourcen zu wollen, führt in die falsche Richtung.
Auch ein Kreiskrankenhaus muß in der Lage sein, wirtschaftlich überleben zu können und dazu gehören eben Standardeingriffe wie CHEs, Koros, Gastos-/Koloskopien, TEPs etc einfach dazu. Wenn da an der Vergütung gebasteltn wird, ist bei solchen Häusern schnell der Ofen aus und genau das ist ja momentan auch geplant.
Evidence based
22.07.2021, 11:28
Naja, denke, an Katheterlaboren mangelt es hier jetzt eher nicht, da sind wir so ziemlich europäische Spitze und das ist jetzt auch nicht des verkehrteste.
Ich bin völlig bei Dir, natürlich gehören bestimmte große Eingriffe an Zentren und nicht in jedes Dorfkrankenhaus, aber der Trend, klassische OPs/Eingriffe an immer größere Kliniken outsourcen zu wollen, führt in die falsche Richtung.
Auch ein Kreiskrankenhaus muß in der Lage sein, wirtschaftlich überleben zu können und dazu gehören eben Standardeingriffe wie CHEs, Koros, Gastos-/Koloskopien, TEPs etc einfach dazu. Wenn da an der Vergütung gebasteltn wird, ist bei solchen Häusern schnell der Ofen aus und genau das ist ja momentan auch geplant.
Natürlich müssen die überleben können. Aber dass sie das aktuell nur mit solchen Eingriffen können, liegt an der schlechten Vergütung der Regelversorgung durch das DRG-System. Wir müssen wieder dahin kommen, dass sich das, was kleinere Häuser leisten können, auch in finanzieller Hinsicht lohnt. Es ist keine gute Entwicklung, dass TEPs gemacht werden müssen, um die finanziellen Defizite einer wichtigen basisinternistischen Abteilung auszugleichen.
Das soll natürlich nicht heißen, dass sie diese Leistung nicht anbieten dürfen - es sollte aber kein wirtschaftlicher Druck ausgeübt werden, dass sie es müssen.
Christoph_A
22.07.2021, 12:23
Teps werden nicht gemacht um basisinternistische Verluste auszugleichen (was auch immer das sein sollte), sondern um Coxarthrosen zu beheben, das sind nun a) keine hochdotierten und b) keine überkomplexen Eingriffe, die den Einsatz eines Zentrums erfordern würden.
Wo ich dir recht gebe ist, daß die konservative Versorgung in egal welcher Fachdisziplin finanziell aufgewertet werden muß, das ist aber, denke ich, genereller fachübergreifender Konsens.
Wirtschaftlicher Druck ist politisch gewünscht, meiner Meinung nach jedoch kontraproduktiv für die Qualität. irgendwann entsteht so nämlich genau die Fließbandmentalität, die oft und mit Recht am deutschen Gesundheitssystem kritisiert wird. Gerade für staatliche Kliniken sollten auch bewußt Defizite aufgehäuft werden, um eine bessere Basisversorgung sicherstellen zu können, Geld dafür ist im System genug.
Evidence based
22.07.2021, 14:08
Teps werden nicht gemacht um basisinternistische Verluste auszugleichen (was auch immer das sein sollte), sondern um Coxarthrosen zu beheben, das sind nun a) keine hochdotierten und b) keine überkomplexen Eingriffe, die den Einsatz eines Zentrums erfordern würden.
Wo ich dir recht gebe ist, daß die konservative Versorgung in egal welcher Fachdisziplin finanziell aufgewertet werden muß, das ist aber, denke ich, genereller fachübergreifender Konsens.
Wirtschaftlicher Druck ist politisch gewünscht, meiner Meinung nach jedoch kontraproduktiv für die Qualität. irgendwann entsteht so nämlich genau die Fließbandmentalität, die oft und mit Recht am deutschen Gesundheitssystem kritisiert wird. Gerade für staatliche Kliniken sollten auch bewußt Defizite aufgehäuft werden, um eine bessere Basisversorgung sicherstellen zu können, Geld dafür ist im System genug.
Was ich damit sagen wollte: TEPs lohnen sich finanziell, eine konservative internistische Behandlung häufig nicht - obwohl beide Behandlungen sinnvoll und notwendig sind. Und das ist leider die Mischkalkulation, die im Krankenhaus stattfinden muss. Das ist meiner Meinung nach nicht sinnvoll und ein Fehlanreiz im DRG Systems. Du hast völlig recht - das Geld ist zur genüge da, es versickert nur an den falschen Stellen. Der Markt wird das auf keinen Fall selbst regeln, den Politikern (die genau wissen, was abgeht) ist es aber auch zu heikel etwas zu ändern und so dreht sich das Rad weiter...
Thomas24
22.07.2021, 15:54
Du hast völlig recht - das Geld ist zur genüge da, es versickert nur an den falschen Stellen. Der Markt wird das auf keinen Fall selbst regeln, den Politikern (die genau wissen, was abgeht) ist es aber auch zu heikel etwas zu ändern und so dreht sich das Rad weiter...
Na, das liegt auch daran, dass wir im Gesundheitssystem keine Marktwirtschaft haben.
Da durch politische Anreize und Vorgaben sowohl (Mindest-) Mengen, Preise (DRG, EBM), als auch Qualität etc. pp. vorgegeben sind, => "Der Markt" kann nichts regeln, weil kein wirklicher Markt vorliegt. Leider sind wir im Gesundheitssystem in einem hochgradig planwirtschaftlichen System mit vereinzelten Inseln marktwirtschaftlicher Handlungsfreiheit gefangen, diese Hybridlösung funktioniert in keinem Fall besonders effizient, noch effektiv.
Obzwar wir in unserem Handeln zu den am meisten kontrollierten (Kassen, KV), bürokratisierten (BMG, LMG, RKI, Kassen etc.) und regulierten (Regierungspräsidien, BGs, etc.) Branche tätig sind, funktioniert das Gesundheitswesen -trotz aller Reibungsverluste- sogar noch erstaunlich gut. Weniger planwirtschaftliche Vorgaben wären natürlich noch besser für alle Beteiligten- aber weniger Planwirtschaft wird es nicht geben. Es wird immer nur noch mehr Dokumentationspflichten, mehr Bürokratie und mehr Auflagen geben. Auch wenn wir irgendwann mal ein "Dokumentationslastenentpflichtungsgesetz" mit entsprechender 22 seitiger Durchführungsverordnung sehen werden /Exkurs Ende.
Christoph_A
22.07.2021, 15:56
Genau das ist ja das Perverse daran, Du sollst in nem planwirtschaftlich ausgelegten System mit sozialistischer Einnahmen- und sogar Fallzahldeckelung marktwirtschaftlich arbeiten, eine contradictio in eo ispo eben. Und wie bei jedem guten sozialistischen System sind die erfolgreich, die die Grauzonen und Schlupflöcher am besten kennen und ausnutzen.
Thomas24
22.07.2021, 16:13
Genau das ist ja das Perverse daran, Du sollst in nem planwirtschaftlich ausgelegten System mit sozialistischer Einnahmen- und sogar Fallzahldeckelung marktwirtschaftlich arbeiten, eine contradictio in eo ispo eben. Und wie bei jedem guten sozialistischen System sind die erfolgreich, die die Grauzonen und Schlupflöcher am besten kennen und ausnutzen.
So ist es. Aber wir können uns den ganzen Tag über das System beklagen- ändern wird sich nichts.
Daher müssen wir die Karten spielen, die uns ausgeteilt worden sind- so gut es das System eben zulässt:-nix.
Edit: und wenn jemand das Gesundheitssystem mal wieder als Beispiel für "Marktversagen" in den Mund nimmt, dann dezent aber bestimmt darauf hinweisen, dass im Gesundheitssystem keine Marktwirtschaft vorliegt, sondern man allenfalls -wie fast immer- das Scheitern von planwirtschaftlichen Vorgaben und Bürokratie an der Wirklichkeit erleben kann (Stichwort: Terminservice Gesetz usw.).
Bonnerin
22.07.2021, 17:44
Die Frage ist aber natürlich, wie man es wirklich besser machen kann (keine Ironie). Wenn ich die Bilder und Berichte aus den USA so sehe, wo man sich überspitzt gesagt vermutlich lieber verbluten lassen sollte als am Ende ohne health insurance ins Krankenhaus zu kommen, will ich da trotz der Exzellenz vieler Krankenhäuser eigentlich eher nicht sein. In UK sah man, wie man eine staatliche Institution in Form des NHS kaputtgespart hat und jetzt teilweise Frauen nicht mal rechtzeitig in einen Krankenwagen kommen, wenn die Wehen einsetzen.
Spahn hat ja bereits gesagt, dass die DRG auf jeden Fall bleibt. Ist ja auch leicht für ihn, mit soviel Erfahrung im Bereich unseres Gesundheitssystems.
Wo außerhalb Deutschlands wird denn dieser Traum wirklich gelebt,
Er meinte die Verfügbarkeit von schnellem Internet. Die ist sogar in Rumänien besser als Deutschland. Auch die Preise für schnelles mobiles Internet sind hier noch nicht angepasst auf das Niveau in unserem nahen Ausland (deutlich günstiger). Die neue Regierung wirds schon richten.
Wenn man glaubt, in einer Zentralisierung das Heil des Gesundheitssystems zu sehen, ist man meiner Meinung nach auf dem Holzweg.
Gerade in meinem Job leben wir davon, daß es eine flächendeckende Anzahl von Herzkatheterlaboren gibt (Stichwort time is muscle
Ja genau, und viele kleinere Häuser haben garkein Herzkatheterlabor oder Stroke Unit mit Neuroradiologie.
In meiner alten kleinen Inneren (nur Gastro/Pulmo/Cardio nur Schrittmacher) haben wir Patienten mit Herzinfarkt verlegt, NACHDEM die Diagnose gesichert war. Der Patient hat somit LÄNGER warten müssen. Time is muscle.
Ebenso kamen in die internistische Notaufnahme Patienten mit Apoplex. Nachdem sie im cCT waren, Diagnose gesichert war, wurden sie sofort verlegt in ein KH mit Stroke Unit und Neurorad. Für den Patient ist dieses Kleinklein garnicht gut. Time is brain.
Ich will keinesfall mein ehemaliges KH komplett schließen. Grund- und Regelversorgung können gerne erhalten bleiben. Grundsätzlich gibt es auch noch Bedarf im Bereich Geriatrie. Nur als echter Notfall bist du dort nicht unbedingt immer am besten aufgehoben.
Jemand der 1000e Herzkatheter gemacht hat, wird die auch an nem kleineren Haus mit vlt jetzt nur 4-5 Koros am Tag und 1 PTCA besser machen, als der junge OA am maximalversorger, der vlt insgesamt erst 500 Koros gemacht hat. So fair muß man in dieser ganzen Mindestzahlendebatte schon sein.
Das ist eine Fähigkeit, die man gelernt hat, aber auch dauernd anwenden muss. 4-5x am Tag ist ja schon ganz ordentlich, da kommt man nicht aus der Übung.
Wer nur 13x mal im Jahr den Ösophagustumor operiert, kann das nicht so gut wie die chirurgische Klinik in Köln mit fast 300 operierten Ösophagustumoren. Die OP hat eine garnicht so geringe Mortalität.
Oder das Prostatazentrum mit 51 Prostataektomien im Vergleich zur Martini-Klinik in Hamburg mit >2000 Prostataektomien. Wie jeder weiß, ist eine unangenehme Nebenwirkungen, dauerhafte Inkontinenz. Insb. je weniger Routine es gibt.
Wo würdet ihr euren Patienten raten sich behanden zu lassen?
Genau das ist ja das Perverse daran, Du sollst in nem planwirtschaftlich ausgelegten System mit sozialistischer Einnahmen- und sogar Fallzahldeckelung marktwirtschaftlich arbeiten, eine contradictio in eo ispo eben. Und wie bei jedem guten sozialistischen System sind die erfolgreich, die die Grauzonen und Schlupflöcher am besten kennen und ausnutzen.
So ist es. Aber wir können uns den ganzen Tag über das System beklagen- ändern wird sich nichts.
Daher müssen wir die Karten spielen, die uns ausgeteilt worden sind- so gut es das System eben zulässt:-nix.
Ja das stimmt alles. Aber man kann durchaus mit Kassensitz und eigener Praxis gut verdienen ohne sich "tot" arbeiten zu müssen. Und selbst als angestellter Facharzt in einer Praxis muss man auf keinen Fall am Hungertuch nagen bei meist planbarer Arbeit und Arbeitsbedingungen, die nicht mit denen in der Klinik vergleichbar sind.
Es gibt sie: die Goldene Nische in diesem System. Vielleicht war früher jedoch alles noch besser.
Den Mio. Gehältern der Chefärzte der 90er und 80er Jahre müssen wir jedoch hinterhertrauern. Die können wir nicht erreichen.
Die Frage ist aber natürlich, wie man es wirklich besser machen kann (keine Ironie). Wenn ich die Bilder und Berichte aus den USA so sehe, wo man sich überspitzt gesagt vermutlich lieber verbluten lassen sollte als am Ende ohne health insurance ins Krankenhaus zu kommen, will ich da trotz der Exzellenz vieler Krankenhäuser eigentlich eher nicht sein. In UK sah man, wie man eine staatliche Institution in Form des NHS kaputtgespart hat und jetzt teilweise Frauen nicht mal rechtzeitig in einen Krankenwagen kommen, wenn die Wehen einsetzen.
Spahn hat ja bereits gesagt, dass die DRG auf jeden Fall bleibt. Ist ja auch leicht für ihn, mit soviel Erfahrung im Bereich unseres Gesundheitssystems.
Also bevor man stirbt, kann man in Erwägung ziehen selbst in ein US-amerikanisches Krankenhaus zu gehen.
Hier sieht man die eher ungünstigen Auswüchse von "freier Marktwirtschaft" bei dem Grundbedürfnis "Gesundheit". Das System ist extrem teuer, unfair und qualitativ im Großen und Ganzen nur mäßig (einzelne Kliniken sind Spitze).
Das englische Gesundheitswesen ist so ziemlich das Gegenteil des US-amerikanischen Gesundheitssystems. Auch hier gilt wie in den USA: Bevor man stirbt, wird man von einem Krankenwagen schon mitgenommen und sollte sich auch mitnehmen lassen. Die Briten zahlen deutlich weniger für ihre Gesundheit als die US-Amerikaner oder wir. Meine Freunde dort sparen Monat für Monat ca. 400€ an Gesundheitsausgaben nachdem sie dorthin gewechselt sind. Dafür gibt es aber auch nur eine Basicversorgung, die ganz klar auf die Kostenseite schaut. Wer mehr haben möchte, muss extra zahlen. In meinem Fach machen sie extrem gute klinische Studien, die man hierzulande leider vergebens sucht. Naja, vllt kommt ja mal eine Forschungsreform in naher Zukunft mit Laschet/Spahn.
Grundsätzlich ist es aber auch möglich, dass jemand mit einer akuten Ischämie oder Blutung nur für die Intervention an die große Klinik verlegt und sonst in der kleineren Klinik stationär behandelt wird. Wenn das Zentrum nur begrenzte Betten-und Intensivkapazität hat macht das durchaus Sinn. Die Radiologie hier bietet so was an; das lief nicht immer ganz reibungslos, hat ein paar mal aber auch schon ganz gut geklappt. Wenn das Abrechnungssystem geändert würde wäre das vielleicht auch für Operationen oder Interventionen anderer Abteilungen sinnvoll - dann wäre fehlende Intensivkapazität auch kein Argument mehr. Offiziell ist es das auch jetzt schon nicht, nur inoffiziell wird es doch sehr oft akzeptiert. Wenn die OP/Intervention und perioperative/periinterventionelle Behandlung unabhängig voneinander ohne Abschläge vergütet werden würden gäbe es für keine Klinik mehr eine Motivation irgendwas das sie leisten kann zu verweigern. Hier müsste man zuerst ansetzen.
Es gibt auch Konzepte dass ein Hintergrund für mehrere Standorte verfügbar ist. Scheint mir auch ein sehr gutes Modell zu sein; an qualifiziertem Personal dürfte es ja am ehesten scheitern, denn einen OP-Saal und ein CT gibt es selbst an den meisten kleinen Kliniken.
Das hört sich ja abenteuerlich an: Ein Patient kriegt eine Intervention, wird verlegt in ein kleineres Krankenhaus und dort treten dann Komplikationen auf, die eine Rückverlegung notwendig machen.
Es gibt auch Konzepte dass ein Hintergrund für mehrere Standorte verfügbar ist. Scheint mir auch ein sehr gutes Modell zu sein; an qualifiziertem Personal dürfte es ja am ehesten scheitern, denn einen OP-Saal und ein CT gibt es selbst an den meisten kleinen Kliniken.
Stimmt. So läuft das auch in der Neuroradiologie in Bayern. Da fliegen die Docs incl. Pflegekraft und vollständigem Kathetermaterial etc. mit dem Hubschrauber zum Patienten. Die Docs sind selbstverständlich auch in die entsprechenden Angioanlagen zuvor eingewiesen worden und vom Zeitablauf läuft das so dass ab dem Zeitpunkt der Indikationsstellung die Anästhesie des Hauses schonmal alles vorbereiten kann incl. Narkose und der Neuroradiologe dann kommt und mit seinen eigenen Materialien das Problem behebt.
Kann man machen. Dann mach ich mir einen mobilen Bus mit OP-Sieben, Kathetern, Ballons, Stents, Stentgrafts, Prothesen usw.. nehm mir aber auch eine entsprechende OP-Pflege mit und fahr in andere Häuser zum operieren. Als Gefäßchirurg in ein Haus zu kommen das keine eigentliche Gefäßchirurgie hat ohne Pflege die sich damit auskennt ohne Material vor Ort... ich würd es ... nicht wollen.
Und ja, natürlich muss die Verfügbarkeit von Herzkatheterlaboren, Stroke Units etc gewährleistet sein. Aber das ist in dem aktuellen System außerhalb von Großstädten ja eben häufig nicht der Fall. Um Notfälle ging es mir primär auch nicht, ehr um planbare, größere Eingriffe.
Und genau das sehe ich wiederum kritisch: wenn man Notfälle behandeln soll dann muss man dies auch in der Routine üben. Eine Carotis-TEA bei akutem Verschluss wo es eben auch wiederum um time is brain geht sollte man mittels "normaler" Carotis-TEAs geübt haben. Die Versorgung einer rupturierten Aorta sollte man bei intakten Aortenaneurysmata geübt haben. Verbietet man eines davon werden sowohl die Materialen dafür (ok, bei Carotis braucht es nicht so viel) als auch die Expertise abgebaut, auch wenn man postulieren kann dass die Expertise vielleicht niedriger als in High-Volume-Zentren ist.
Spannend in der Gefäßchirurgie: in Studien wurden statistisch optimale jährliche Fallzahlen von 13 bis 16 für offene Aorten herausgefunden, die High-Volume-Zentren waren hier sogar schlechter! Aber gefordert werden in der gleichen Publikation einfach mal 30. Evidenz? Null. Hauptsache den kleineren Zentren mit der idealen Zahl und niedrigen Komplikationsraten mal ans Bein gepisst.
Das hört sich ja abenteuerlich an: Ein Patient kriegt eine Intervention, wird verlegt in ein kleineres Krankenhaus und dort treten dann Komplikationen auf, die eine Rückverlegung notwendig machen.
Das gibt es schon. Nennt sich "heimatnahe Rückverlegung" und wird von Uni-Kliniken gerne mal gemacht...
FirebirdUSA
23.07.2021, 17:45
Das mit dem Neuroradiologe kommt zum Patient gibt es neben München auch mindestens in Hamburg, Heidelberg und Tübingen. Nachdem die Verlegung in der Regel ewig dauert (Anfahrt RTW/NEF, Weg zum Patient, Übergabe, Umlagern, Verkabeln, dann Fahrzeit, etc gerne auch mal 2-3h nach Übernahmezusage erst am Ziel) ist man selbst mit Taxi fast immer schneller als der Patient andersherum... und lokale Komplikationen an der Einstichstelle muss jedes Krankenhaus beherrschen können, oder vor was hast du Sorge?
John Silver
24.07.2021, 18:12
Ehrlich? Also Gefäße operieren darf man nicht, aber ein pulsierendes Hämatom muss man adäquat versorgen können? Vergiss es.
Der Punkt ist folgender: Eine Konzentration bestimmter diagnostischen und therapeutischen Optionen auf große Zentren hat sicher eine Menge Vorteile; das Problem ist, dass das aktuelle System für eine solche Art der Versorgung nur sehr bedingt aufgestellt ist. Man müsste die gesamte Krankenhauslandschaft durchpflügen und die Verteilung der Zentren verändern, weil das aktuelle Vorhaben, einfach große Häuser zu lassen und kleine zu schließen, nur für größere Städte aufgehen kann, und selbst da nur sehr bedingt.
Beispiel kolorektales Karzinom: rund 70.000 neue Patienten pro Jahr, davon müssen mehr als 60.000 (der Einfachheit halber rund gerechnet) operiert werden, und sei es eine Stomaanlage. Der ursprüngliche Plan der Krebsgesellschaft, die Zahl der Darmkrebszentren auf ca. 200 zu begrenzen, hätte bedeutet, dass jedes Zentrum im Schnitt ca. 300 Patienten pro Jahr operieren müsste. Macht im Schnitt etwas mehr als 1 OP pro Tag. Hinzu kommen zu erwartende 25-30 Anastomoseninsuffizienzen (mit den Zahlen der großen Datenbanken gerechnet). Die müssen auch operiert und versorgt werden. Da kann man schon
mal die nötigen Kapazitäten im OP und der ITS/IMC berechnen, samt Normalstation. Scheint problemlos machbar? Cool! Aber das ist nur ein Krankheitsbild. Große Zentren müssen halt sehr viele Krankheitsbilder versorgen; und wenn man die dafür notwendigen Kapazitäten addiert, wird man feststellen, dass diese Summe die vorhandenen Kapazitäten um mindestens 30-40% (sehr optimistisch geschätzt) übersteigt. Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Vor allem das Personal. Das wird halt nicht einfach durch das Schließen kleiner Häuser auf dem Land frei, weil insbesondere Pflegepersonal und sonstige Assistenzberufe zu wenig verdienen, um vom Land in die Stadt zu ziehen.
FirebirdUSA
24.07.2021, 18:52
Ich bin kein Verfechter alles zu zentralisieren, da hast du etwas falsch verstanden.
Ich hab nur die Entrüstung über rasche Rückverlegung nach Intervention nicht verstanden, mit der Begründungman würdd die Patienten durch mögliche Komplikationen gefährden. Tatsächlich wird die häufigste Komplikation ein Aneurysma spurium sein, ich kann aber von jedem Arzt erwarten einen Druckverband anzulegen und dann ggf in eine Gefäßchirurgie zu verlegen. Wenn einer ständig pulsierende Leisten produziert sollte man aber eher den Fehler suchen.
vor was hast du Sorge?
Dass die auf die Idee kommen, dass das mit anderen Fachrichtungen genauso unkompliziert geht wie mit den Neuroradiologen.
An Telesachen kenn ich bisher die Radiologen, ok, ist auch einfach, haben sich quasi eh noch nie einen Patienten angesehen und ein CT lässt sich von daheim auch befunden... die Neuroradiologen und Teleneurologie, auch in verschiedenen Zentren.
Versteh mich nicht falsch, ich finds toll was die machen und können. Ich schau denen auch gern mal zu, die haben interessante Katheter und Methoden, vielleicht kann ich ja von denen mal was für meine Arbeit übernehmen (und nein, ich bleib außerhalb des Hirns, da will ich gar nicht hin). Aber die nehmen sich auch ihre eigene personelle Unterstützung und das eigene Material mit. Und die ganzen Abdeckungssachen etc. werden schonmal in der Klinik gelagert in der der entsprechende Patient dann ist. Also sowohl bzgl. der personellen Ausstattung als auch bzgl. des Materials ist das schon ziemlich gut.
Wenn ich mir das für meinen Fachbereich vorstelle, dann will ich das nicht. Da müsste die entsprechende portable Ausstattung groß und das Schmerzensgeld schon sehr sehr viel höher werden als das aktuelle Schmerzensgeld für die Rufdienste die ich mach ;-)
Und es wird auch vermutlich keiner ein Verständnis haben dafür dass ich im Falle des Falles meine eigene OP-Pflegekraft dabei haben will. Was wichtig wäre. Denn wenn man wo hinkommt und beginnt mit irgendwelchen Schleusen und Kathetern zu hantieren und man hat eine Pflegekraft am Tisch die sonst nur Unfallchirurgie macht und als allererstes mal den Draht rauszieht, dann kann das aggressiv machen. Das macht auch schon im Dienst aggressiv im eigenen Haus. In einem fremden Haus dann noch mehr...
ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine Neurochirurg komplexe Krankheitsbilder wie Tumore in einem peripheren Haus operiert und die Komplikationen&weitere Behandlung einer kleinen Allgemeinchirurgie oder Inneren Medizin überlässt.
Zunächstmal werden Umstruktuierungen und die Zentralisierung extrem langsam durchgeführt (siehe Zahl der Krankenhäuser).
Hier ein paar Beispiele
https://www.aerztezeitung.de/Wirtschaft/Lungenklinik-in-Borstel-schliesst-ihre-Pforten-421047.html
Die Klinik liegt zwischen Lübeck, Hamburg und Bad Segeberg und damit im Dreieck zwischen Städten mit erheblich größeren Kliniken.
Schließung zweier Krankenhäuser in Essen
https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/disukussion-um-krankenhausschliessungen-in-essen-100.htmlhttps://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/disukussion-um-krankenhausschliessungen-in-essen-100.html
In der Stadt selbst gibt es genug Krankenhäuser. Hinzukommt die zentrale Lage im Ruhrgebiet.
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