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Nefazodon
28.01.2022, 07:04
@Reflex: Obwohl das Beispiel mit dem neurogenen Singultus gut ist, und ich dir definitiv Recht geben muss, dass es leider auch den Fall gibt, dass unbedachtes Absetzen Schaden anrichtet, kann ich deiner Aussage "never change a running system" aus meiner Sicht nur bedingt zustimmen.
Wenn alle Ärzte immer so denken, dann setzen wir alle ja immer nur neue Medikamente aus "unserem" Fach an. Mit dem Resultat, dass die Patienten dann irgendwann mit einer Medikamentenliste von einer DinA4-Seite in die Praxis/Klinik kommen und schon vor dem Frühstück satt sind (durch die vielen Tabletten).
Daher plädiere ich dafür, dass man auch mal den Mut zum De-prescribing hat und Sachen absetzt.
Leider traut sich das aus den von dir o.g. Gründen meiner Meinung nach kaum jemand.
Sicherlich richtig und wichtig ist aber, dass man immer wissen sollte was man tut.
"Einfach mal so" ein Medikament absetzen sollte man nie!
Wenn man das machen will, und GUT machen will, muss man sich die Zeit nehmen die Vorbefunde einzuholen und mit der Hausärztin des Patienten Rücksprache zu halten.
Und mit dem Patienten muss man sowieso darüber sprechen, sonst hält die Entscheidung bis einen Tag nach der Entlassung.
Ich glaube wir haben da beide die gleiche Einstellung und ich gebe dir auch recht, dass oft auch unnötig Polypharmazie betrieben wird. Ich persönlich hinterfrage auch jegliche Medikation meiner Patienten, die zu mir kommen. Aber bevor ich was verändere oder absetze, versuche ich erst alle Informationen zu bekommen, um es adäquat einschätzen zu können. Manchmal ist es (gerade im niedergelassenen Bereich) auch sinnvoll sich etwas im Langsschnitt anzuschauen und dann noch einmal neu zu beurteilen. Never change running System heißt aber nicht niemals etwas zu verändern. Wenn es keinen therapeutischen Nutzen für eine Medikation mehr gibt, sollte ich sie natürlich absetzen. Die Frage ist halt, ob ich das mit den Informationen, die ich habe, in dem Moment abschätzen kann. Gerade wenn ich als Anfänger seit zwei Monaten erst tätig bin.
Ich finde man muss jedes Medikament kritisch hinterfragen. In der Inneren sehe ich sehr häufig DAPT nach Stentanlage, die seit 5 Jahren läuft obwohl sie hätte nach 6 Monaten abgesetzt werden sollen. Bei Psychopharmaka sind wir aber auch sehr zurückhaltend es sei denn es gibt einen akuten Grund z.B. Hyponatriämie oder Qtc Zeitverlängerung.
Leucovorin
28.01.2022, 23:20
Ja dann geht das alte Spiel wieder los: Beim HA anrufen, der aber in Urlaub ist oder der AB gerade läuft. Gut finde ich die Medilisten von HÄ, wo vermerkt ist wann&durch wen was angesetzt wurde sowie warum.
Daher plädiere ich dafür, dass man auch mal den Mut zum De-prescribing hat und Sachen absetzt.
Was meinst du mit "Mut"? Einfach mal mutig absetzen ohne sich auszukennen und schauen was passiert? Könnte auch fahrlässig sein, oder?
In der Inneren sehe ich sehr häufig DAPT nach Stentanlage, die seit 5 Jahren läuft obwohl sie hätte nach 6 Monaten abgesetzt werden sollen.
Glaub ich sofort. Da braucht nur ein einziges Mal irgendwer die Briefe nicht vollständig gelesen haben im Sinne von "Absetzen nach 3/6/12 Monaten" und zack wird es copy-paste-mäßig Jahre fortgesetzt.
Aber: im Krankenhaus ist die Alternative zu mutig/fahrlässig einfach mal absetzen und dem anderen Extrem copy-paste, einfach mit den entsprechenden Leuten drüber zu reden. Ich hab täglich Konsile drinstehen in denen ich mich als Gefäßchirurg bei Z.n. irgendwelchen Gefäßeingriffen zur TAH oder DOAK Therapie, gern natürlich Kombinationen, äußern soll. Und das mach ich auch. Ehrlich gesagt sogar gern. Dann kann man besprechen was Sinn macht und was nicht. Es gibt ja da teilweise wilde Sachen das glaubt man nicht...
Das Problem ist doch, dass die Verweildauer im Krankenhaus so kurz ist, dass man gar keine Zeit hat die Medikation zu hinterfragen. Ich glaube in meiner Abteilung liegt sie unter 4 Tagen. Dann hat man gar keine Zeit das Absetzen zu beobachten und zu reagieren. Also übernimmt man tatsächlich einfach stumpf die aktuelle Medikation.
Nefazodon
29.01.2022, 12:20
Ich glaube wir haben da beide die gleiche Einstellung und ich gebe dir auch recht, dass oft auch unnötig Polypharmazie betrieben wird. Ich persönlich hinterfrage auch jegliche Medikation meiner Patienten, die zu mir kommen. Aber bevor ich was verändere oder absetze, versuche ich erst alle Informationen zu bekommen, um es adäquat einschätzen zu können. Manchmal ist es (gerade im niedergelassenen Bereich) auch sinnvoll sich etwas im Langsschnitt anzuschauen und dann noch einmal neu zu beurteilen. Never change running System heißt aber nicht niemals etwas zu verändern. Wenn es keinen therapeutischen Nutzen für eine Medikation mehr gibt, sollte ich sie natürlich absetzen. Die Frage ist halt, ob ich das mit den Informationen, die ich habe, in dem Moment abschätzen kann. Gerade wenn ich als Anfänger seit zwei Monaten erst tätig bin.
@Reflex: vermutlich sind wir da dann tatsächlich einer Meinung.:-top
Thema Anfänger: Naja, aber jeder war ja mal Anfänger. Auch als Anfänger muss man irgendwann mal anfangen zu hinterfragen. Aus meiner Erfahrung kann ich nur sagen, dass das oft auch sehr lehrreich ist. Und die Gespräche mit den Hausärzten sind tatsächlich oft auch produktiv und interessant, wenn man sie denn an die Strippe kriegt und die Medikation tatsächlich offen diskutiert/hinterfragt statt einfach etwas zu empfehlen.
Kostet natürlich alles Zeit, und das ist der limitierende Faktor. Trotzdem ist es mir das bei meinen Patienten manchmal einfach wert. Außerdem: Wer soll es sonst machen? Ein nur kurzer Aufenthalt von vielleicht 4 Tagen (@Miss_H) sollte jedenfalls kein Argument dagegen sein. Der Hausarzt hat auch nicht mehr Zeit für den einzelnen Patienten als der Klinikarzt. Eher weniger.
Was meinst du mit "Mut"? Einfach mal mutig absetzen ohne sich auszukennen und schauen was passiert? Könnte auch fahrlässig sein, oder?
@ anignu: Lies den zweiten Absatz meines Posts, den Du zitiert hast. Da erkläre ich es.
@ anignu: Lies den zweiten Absatz meines Posts, den Du zitiert hast. Da erkläre ich es.
Sicherlich richtig und wichtig ist aber, dass man immer wissen sollte was man tut.
"Einfach mal so" ein Medikament absetzen sollte man nie!
Wenn man das machen will, und GUT machen will, muss man sich die Zeit nehmen die Vorbefunde einzuholen und mit der Hausärztin des Patienten Rücksprache zu halten.
Und mit dem Patienten muss man sowieso darüber sprechen, sonst hält die Entscheidung bis einen Tag nach der Entlassung.
Hab ich gelesen. Was hat das mit "Mut" zu tun? Ist eher ein "Ich setz mich hin, überprüfe jedes einzelne Medikament, diskutiere jedes einzelne Medikament mit jeder Fachabteilung durch die betroffen sein könnte und mit dem Hausarzt, überlege mir was ich absetzen kann, diskutiere es anschließend mit dem Patienten und erst dann setze ich die Medis um". Unter "Mut" hab ich mir was anderes vorgestellt. Ok, vielleicht ist es der Mut sich viel Arbeit zu machen...
Kostet natürlich alles Zeit, und das ist der limitierende Faktor. Trotzdem ist es mir das bei meinen Patienten manchmal einfach wert. Außerdem: Wer soll es sonst machen? Ein nur kurzer Aufenthalt von vielleicht 4 Tagen (@Miss_H) sollte jedenfalls kein Argument dagegen sein. Der Hausarzt hat auch nicht mehr Zeit für den einzelnen Patienten als der Klinikarzt. Eher weniger.
Wir habe 20+ Patienten zu betreuen. Die meisten bekommen einen operativen Eingriff. Ich persönlich kenne mich wenig mit Pharmakotherapie aus. Und ich stelle auch nicht für 5-10 Patienten ein internitisches Konsil. Ich sehe da für operative Abteilungen mit kurzen Liegedauern wenig Potential etwas an der häuslichen Medikation zu verbessern. Und ja, ich sehe da den Hausarzt schon in der Hauptverantwortung.
Und ich stelle auch nicht für 5-10 Patienten ein internitisches Konsil. Ich sehe da für operative Abteilungen mit kurzen Liegedauern wenig Potential etwas an der häuslichen Medikation zu verbessern. Und ja, ich sehe da den Hausarzt schon in der Hauptverantwortung.
Wäre es da nicht cool, bei Patienten mit >= 3 Medikamenten, "komischen Medis" oder anderen Indikatoren automatisch ein Pharma-Konsil zu kriegen? Apothekenvisiten gibt es ja teilweise, könnte man ja ausweiten, meinetwegen auch selbstständig, sodass ihr als Hauptbehandelnden keinen Stress habt?
Man sollte zumindest hoffen, dass die Informationen beim Hausarzt zusammenlaufen, damit die Medikation passt und er/sie dann entsprechend reduzieren/absetzen kann. Im Gegensatz zu den Klinikärzten, die dann den Infos hinterhertelefonieren.
Wir haben in der Reha glücklicherweise die Zeit, alles aufzudröseln und machen das auch häufig.
Pharma-Konsil? Ich arbeite nicht an der Uniklinik. Wüsste nicht wer das an meiner Klinik machen sollte. Apothekenvisiten kenne ich auch nicht. Klingt aber auch eher nur nach einer wöchentlichen Veranstaltung.
Wie gesagt ich kann es mir für eine operative Abteilung nicht vorstellen. Und wüsste auch nicht wie es kostendeckend organisiert werden kann.
D.Hollywood
29.01.2022, 19:21
Wäre es da nicht cool, bei Patienten mit >= 3 Medikamenten, "komischen Medis" oder anderen Indikatoren automatisch ein Pharma-Konsil zu kriegen? Apothekenvisiten gibt es ja teilweise, könnte man ja ausweiten, meinetwegen auch selbstständig, sodass ihr als Hauptbehandelnden keinen Stress habt?
Das fände ich auch gut. Apotheker lernen das eigentlich auch im Studium und sind besser ausgebildet
Nur wird daran natürlich gespart
Bei jeder*m stationären Patient*in erst mal per se die bestehende Medikation, die hausärztlich verordnet wurde, anzuzweifeln, finde ich doch sportlich ;-)
Bei jeder*m stationären Patient*in erst mal per se die bestehende Medikation, die hausärztlich verordnet wurde, anzuzweifeln, finde ich doch sportlich ;-)
Davon sprach zumindest ich nicht. Aber wenn der Medi-Plan eine gewisse Größe hat, sind da ja so viele Interaktionen, ein vernünftiger und aufmerksamer Blick täte da sicher gut. Klar, bei Candesartan+Hct ist das langweilig, aber wir sprachen ja von multimorbiden, denen man vielleicht Präparate zusammenkombinieren könnte, gut für die Compliance und so.
Ich war im Auslandssemester in einer Abteilung, die einen eigenen Apotheker hatte, da gab es wohl gute Ergebnisse zu verbesserter Compliance, weil das mit den Medis gut durchgesprochen wurde. Und ja, die Apotheke muss ja nicht täglich dabei sein, aber 1x/Aufenthalt oder eben 1x/Woche könnte ich mir schon vorstellen. So viel unnütze Tumor Board Vorstellungen wie ich gesehen habe "Standardfall, also Therapie nach Standard?" könnte man das mE schon inhaltlich rechtfertigen. Und an sich hat ja jede Klinik eine Apotheke oder Medikamentenversorgung, also gibt es irgendwo Personal. Kosten sind natürlich schwierig, deswegen wären gute Einschlusskriterien ja wichtig.
Nefazodon
29.01.2022, 19:57
@Muriel: Ja, das wäre wirklich sportlich! Aber so war es ja nie gemeint...
Ich finde aber, wenn einem Mal was auffällt, sollte man ruhig nachhaken. Im Optimalfall tut man damit dem Patienten was Gutes.
Zum Thema:
Wäre es da nicht cool, bei Patienten mit >= 3 Medikamenten, "komischen Medis" oder anderen Indikatoren automatisch ein Pharma-Konsil zu kriegen? Apothekenvisiten gibt es ja teilweise, könnte man ja ausweiten, meinetwegen auch selbstständig, sodass ihr als Hauptbehandelnden keinen Stress habt?
Ich hab schon in Kliniken gearbeitet, wo es einmal wöchentlich ein Pharmakonsil gab. Übrigens beides Nicht-Unikliniken.
Man konnte Fälle auswählen, wo einem die Medikation unklar war...gerne auch die klassischen Patienten mit Medikamentenplänen von einer DinA4-Seite, die ich schon erwähnte. Die Medikation der ausgewählten Patienten wurde dann durch die Apotheke überprüft und man hat sich auch einen Nachmittag in der Woche für ne halbe Stunde getroffen um das zu besprechen.
Ich fand das immer sehr gut und man konnte viel lernen! Dadurch habe ich z.B. mitgenommen, dass man möglichst kein Ibuprofen mit ASS kombinieren sollte oder auch, dass die Kombination Amlodipin/Simvastatin eher ungünstig ist....
und ich fand das immer sehr interessant! Ich glaube auch, dass so ein Modell Sinn machen könnte.
Klinik 1 hat das Modell allerdings nach einiger Zeit wieder eingestellt, soweit ich weiß....hatte sich wohl nicht gelohnt...:-nix
Wäre es da nicht cool, bei Patienten mit >= 3 Medikamenten, "komischen Medis" oder anderen Indikatoren automatisch ein Pharma-Konsil zu kriegen? Apothekenvisiten gibt es ja teilweise, könnte man ja ausweiten, meinetwegen auch selbstständig, sodass ihr als Hauptbehandelnden keinen Stress habt?
Jeder Patient mit mehr als drei Medikamenten = quasi alle ab einem gewissen Alter ;-)
Man sollte zumindest hoffen, dass die Informationen beim Hausarzt zusammenlaufen, damit die Medikation passt und er/sie dann entsprechend reduzieren/absetzen kann. Im Gegensatz zu den Klinikärzten, die dann den Infos hinterhertelefonieren.
Wir haben in der Reha glücklicherweise die Zeit, alles aufzudröseln und machen das auch häufig.
Ich bin ja gerade in einer Hausarztpraxis gestartet und hatte letzte Woche den Fall, dass wir einen Befundbericht vom Kardiologen mit der Post bekommen haben, ohne dass der zugehörige Patient sich gemeldet hat. Ich habe keine Ahnung ob er jetzt die vom Kardiologen vorgeschlagenen Medikamente nimmt oder "unsere", die sich doch sehr unterschieden. Mein Weiterbilder meinte, dass er im Praxisalltag oft nicht die Zeit hat, solche Dinge zu sichten, hinterherzutelefonieren und ggf den Plan auf den neuesten Stand zu bringen. Wenn der Patient kommt, passiert es hoffentlich.
Jeder Patient mit mehr als drei Medikamenten = quasi alle ab einem gewissen Alter ;-)
Könnten ja auch 5 sein. Oder drei unterschiedliche Indikationen. Oder oder. Hab dazu nicht recherchiert. Und die Frage ist ja, sollte man das nicht nach Alter vielleicht sogar staffeln und denen im höheren Alter bei weniger Medis sowas zukommen lassen, weil "mehr passieren kann"? Aber ich schweife ab, Wunschträume sind kein relevanter Inhalt für gestresste Menschen :)
Nicht, dass wir uns falsch verstehen: generell finde ich pharmakologische Visite wirklich sinnvoll. Ich denke, es gibt nicht weniges, was Mediziner schlechter überblicken als Pharmakologen. Aber mir klang das anfangs zu sehr nach "die Medikation so insgesamt kann eh nicht stimmen"
Wir haben als Nischenfach, in das uns eher keiner reinquatscht, außer dass wir nicht ernst genommen werden, eher keine größeren Schwierigkeiten. Aber auch wir bekommen durchaus die Verwirrung bei Patient*innen mit, denen im KH plötzlich alles umgestellt wird. Und nicht immer ist das sinnvoll.
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