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  1. #6
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    Ich schließe mich meinen Vorrednern an und möchte noch einige Kleinigkeiten ergänzen.

    1.) Es ist eine begrenzte Zeit, die dir als 20jähriger lang vorkommt, aber im Grunde doch recht schnell vorbei geht. Es ist eine gute Möglichkeit, erste Erfahrungen im Berufsleben zu sammeln und auch sozial einiges hinzuzulernen. Wie andere schon sagten: Unangenehme Kollegen wirst du auch anderswo haben. Und der Vorteil im Rettungsdienst ist, dass man meistens nur einen Tag am Stück mit jemandem fährt, den man nicht mag. Auch von den Kotzbrocken kann man aber einiges über sich selbst lernen. Ich habe als Anfänger im Rettungsdienst auch so einiges mitgemacht. Vieles davon würde ich mir heute nicht mehr bieten lassen, aber es erlebt zu haben, schafft auch eine gewisse Abgeklärtheit, von der ich später durchaus profitiert habe.

    Übrigens: Manchmal werden im Lauf der Zeit gerade Kollegen, mit denen man am Anfang nicht klar gekommen ist, erstaunlich wertvoll. Mich hat eine Kollegin in den ersten zwei Monaten unfreundlich, herablassend und bis zu schikanierend behandelt. Ich habe den ungeschickten Anfänger-Fehler begangen, dass mir in einer emotionalen Situation und nachdem sie sich mir gegenüber definitiv nicht korrekt verhalten hatte, eine Beleidigung rausgerutscht ist, die das Verhältnis natürlich nicht verbessert hat. Trotzdem lernten wir uns im Lauf einiger Monate sehr schätzen, und das Verhältnis wurde später zu einem außerordentlich respektvollen und manchmal sogar liebevollen Miteinander, so dass wir uns später freuten, wenn wir zusammen arbeiten durften, weil wir wußten, dass wir uns fachlich hundertprozentig aufeinander verlassen konnten und auch in der persönlichen Arbeitsweise sehr ähnlich waren.

    Manchmal ergeben sich Auslöser, jemanden anders zu sehen, aus besonderen Einsätzen, die man zusammen erlebt hat. Ich glaube aus der inzwischen doch recht blassen Erinnerung, bei mir haben gut gelaufene Reanimationen das Verhältnis zu einigen Kollegen verbessert.

    2) Auf jeder Wache gibt es auch Menschen, die entweder vom Fachwissen oder von der Persönlichkeit her außerordentlich wertvoll sind und von denen man viel lernen kann. Man kann sich darauf konzentrieren und die Gelegenheiten genießen und nutzen. Das kann für alle Beteiligten außerordentlich motivierend sein und führt auch dazu, dass man auch schlechte Tage mit Kollegen, auf die man echt keinen Bock hat, besser wegsteckt. Weil man sich als Team den anderen zugehörig fühlt und weiß, dass es Leute gibt, die einen wertschätzen. Man darf wirklich nicht unterschätzen, wie viel man gerade als junger Mensch aus dem unterschiedlichem Umgang miteinander in solchen beruflichen Situationen als Erfahrung mitnehmen kann, und da gehören tatsächlich *auch* die Arschlöcher und die Prolls dazu. Das wird dir helfen, dir in Zukunft ein Arbeitsumfeld aktiv mitzugestalten, in dem du dich wohl fühlst.

    Wichtig aber nochmal der Hinweis: Alle Menschen reden gern über sich selbst, und einige auch gerne über das, was sie wissen. Wenn du dich aktiv interessiert an anderne Menschen und deren Erfahrungen zeigst, wirst du welche treffen, die sich geradezu überschlagen werden, dir weiterzuhelfen. Auch und gerade im Rettungsdienst. Auch Leute, gegenüber denen du vielleicht Hemmungen hast; Notärzte o.ä.

    Von entsprechenden Dienstplanwünschen würde ich auch absehen. Zwar gibt es einzelne Wachen, in denen es durchaus üblich ist, dass Leute, die sich nicht so mögen, sich (z.B. durch Diensttausche und Krankmeldungen) gegenseitig meiden, ohne dass das groß zu Zerwürfnissen führt, aber die Regel ist das nicht, und gerade als jemand, der relativ kurz dabei ist, solltest du das meiner Meinung nach nicht anfangen. Du kannst die sich daraus ergebende Dynamik niemals abschätzen, und es ist es einfach nicht wert.

    3) Noch eine allgemeine Anmerkung. Ich sehe schon auch große Unterschiede im Umgang miteinander in unterschiedlichen Betrieben und in unterschiedlichen Rettungswachen. Selbst auf verschiedenen Stationen innerhalb eines Krankenhauses kann ein sehr unterschiedlicher Umgang miteinander herrschen. Ich fahre zur Zeit auf drei verschiedenen Rettungswachen gelegentlich als Notarzt (mit dem entsprechend begrenzten Einblick in das tatsächliche Wachenleben im Team untereinander). Die Art der Leute, die da so sind, und ihr Verhalten sind schon teilweise spektakulär unterschiedlich. Auf einer Wache herrscht ein extremes Proll-Aufkommen. Da begrüßen sich die Männer schon morgens damit, dass man gegenseitig versucht, dem anderen an den Sack zu fassen. Morgens läuft laute Musik, es gibt kein Frühstück ohne Anzüglichkeiten und Gelästere über nicht Anwesende, und beim Einsatz bespritzt man sich gegenseitig mit Desinfektionsmittel. Auf einer anderen Wache - ein kommunaler Träger, d.h. das sind alles Angestellte im ÖD - gibt es solchen Klamauk einfach überhaupt gar nicht. Dafür arbeiten da einige Kollegen, die schon ans Rentenalter kommen und nicht mehr so richtig können. Der Umgang miteinander ist etwas förmlich, korrekt, gemeinsame Lästereien über Kollegen gibt es praktisch überhaupt nicht, sondern nur über Vorgesetzte oder die "blöde Leitstelle". Beim Frühstück wird über Ereignisse in der Welt oder im persönlichen Leben geredet, gelegentlich gibt es zivilisierte politische Diskussionen. Verglichen mit anderen Wachen ein unglaublich altmodischer Umgang miteinander, eine Mischung aus freundlich und distanziert, einige starre, seit Jahren bestehende, *absolute* Regeln, aber irgendwie tritt auch keiner einem anderen zu nahe und es wirkt alles ganz schön reibungslos, auch wenn sich natürlich auch hier nicht alle bestens leiden können und es auch Konflikte gibt. Es gibt keinen einzigen, der irgendwie "laut" ist oder anderen dauernd erzählt, was für ein toller Hecht er ist. Die Warteliste von Leuten, die sich gerne dorthin versetzen lassen würden, ist lang - vielleicht führt auch das dazu, dass sich jeder gut benimmt. Insofern gibt es schon Unterschiede, und es kann tatsächlich sein, dass du dich woanders irgendwann wohler fühlen wirst. Ich würde aber nicht anstreben, während des FSJ zu versuchen, die Wache zu wechseln, denn du weißt letzten Endes nicht, wie es woanders ist, und der Zeitraum ist zu kurz, als dass das sinnvoll wäre. Überall gibt es etwas, das einem nicht passt.

    Unterschätze auch nicht die Tatsache, dass du nach einem Wachenwechsel an der neuen Wache derjenige bist, der woanders "nicht zurechtgekommen" ist.

    Hoffe, das hilft dir!
    Geändert von Pflaume (03.04.2019 um 17:21 Uhr)



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