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  1. #11
    Diamanten Mitglied Avatar von WackenDoc
    Registriert seit
    24.01.2009
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    Bauschamane
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    16.362
    Die Entscheidung war sicher richtig. Das ein Zweifel bleibt, liegt an unserem Beruf.

    Anrufen und nachfragen: Ich würde es wohl eher nicht machen. Andererseits- wenn es wichtig für dich ist, um damit abzuschließen- ich fände es jetzt auch nicht völlig pietätlos. Der Zwischenweg wäre die Todesanzeigen in der Tageszeitung durchzuschauen.
    This above all: to thine own self be true,
    And it must follow, as the night the day,
    Thou canst not then be false to any man.
    Hamlet, Act I, Scene 3



  2. #12
    Registrierter Benutzer
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    21.08.2007
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    Göttingen
    Beiträge
    776
    Ich finde wie alle anderen, dass du der Schilderung nach absolut richtig gehandelt hast und deine Unsicherheit und deine "Bauchschmerzen" nur deiner relativen Unerfahrenheit mit solchen Situationen geschuldet sind.

    Es werden weitere Situationen kommen, unter Umständen auch noch kompliziertere, in denen nicht zwei Angehörige übereinstimmend ganz klar sagen, dass derjenige nicht ins Krankenhaus gewollt hätte, und bereit sind, dafür zu kämpfen.

    Meine Haltung ist in solchen Situationen, dass *ich* versuche, nach den mir vor Ort bestehenden Möglichkeiten den mutmaßlichen Patientenwillen zu erforschen, und dann aufgrund der mir vorliegenden (ggf. limitierten) Informationen zu dem Schluß gekommen bin, dass das gewählte Vorgehen dem Patientenwillen entspricht. Die wesentlichsten Gründe, warum ich zu diesem Schluß gekommen bin, schreibe ich auf. Patientenverfügungen können einen Anhalt geben, schildern jedoch mangels konkreter Vorhersehbarkeit praktisch nie die jetzt aktuell wirklich bestehende Situation. Außerdem hat der BGH ja vor nicht zu langer Zeit geurteilt, dass Patientenverfügungen wie die von dir beschriebene meinem Verständnis nach auch den Richtern zu schwammig sind, um endgültige weisende Wirkung im konkreten Fall zu entfalten. Das beste Mittel, um den mutmaßlichen Patientenwillen zu erforschen und seine Entscheidung zu treffen, sind vor Ort vorliegende Arztbriefe zur Erfassung der aktuellen medizinischen Situation und ggf. vorausgegangener Entscheidungen des Patienten (z.B. für oder gegen PEG, für oder gegen eine OP) und das auf der Basis von vorliegenden bzw. aktuell erhobenen Befunden geführte Gespräch mit Menschen, die den Patienten länger kennen als du, sprich den Angehörigen, ggf. insbesondere Vorsorgebevollmächtigten. Auf Basis dieser dir vorliegenden Informationen triffst du deine Entscheidung, bzw. im Fall des Vorsorge-Bevollmächtigten ist der ggf. ja sogar weisungsbefugt. Meine entsprechende Dokumentation in solchen Fällen fußt immer auf:
    - Aktuelles Problem (ggf. auf dem Boden von xy Grunderkrankung)
    - Patientenverfügung liegt vor / liegt nicht vor /// Vollmacht liegt vor / liegt nicht vor. Ggf. Vermerk, dass Patientenverfügung nicht ausreichend konkret erscheint. Bin bezüglich dieser Dokumentation aber eher nachlässig
    - Doku: Situation mit Angehörigen besprochen (konkret: Mit wem habe ich gesprochen). Ergebnis des Gesprächs: xy. -> Prozedere.
    - Wie du siehst, wird hier mehrfach das Thema angesprochen "Warum wurde überhaupt der Rettungsdienst gerufen?". Genau das fragen Gutachter auch regelmäßig. Um die Sache abzurunden, kann man, wenn es nötig ist, kurz darauf eingehen. Sozusagen in der Form des ersten Satzes "

    Akute Ateminsuffizienz / Cheyne-Stokes-Atmung seit xy. RD-Alarmierung durch Ehefrau, "Pat. scheint sich zu quälen". Hypoxie, Hypotonie. Pat. mit fortgeschrittener Demenz, Pflegefall seit >5 Jahren. Pulmo: Bds. frei. HT rein, kein Herzgeräusch. Keine Ödeme. Keine Exsikkose-Zeichen. Wirkt verlangsamt, unverständl. Laute, Blickwendung auf Ansprache. Weitere Verständigung mit Pat. selbst nicht möglich. Mit 2 der 3 Vorsorgebevollmächtigten (Ehefrau xy, Sohn XY) besprochen: Akut lebensbedrohliche Situation, nur durch KH-Behandlung wirksam zu beseitigen, Ursache und Erfolg unsicher. Übereinstimmende Aussage: Patient würde in dieser Situation def. keine stat. KH-Behandlung wollen, vorzeitiger Tod würde inkauf genommen. Handlungsmöglichkeiten / Prozedere aufgezeigt. Entscheidung: Palliative Situation, Bhdlg. vor Ort, kein Transport. Morphin s.c. Patient im Verlauf ruhiger, sPO2 stabil auf niedrigem Niveau. Ehefrau wird morgen Hausarzt kontaktieren.


    Man kann dann noch so Dinge dokumentieren wie "Ehefrau traut sich weiteres Handling zu, ggf. KV-Notdienst oder erneuter Notruf", aber meistens ist diese Dokumentation übertrieben. *Ansprechen* würde ich die weiteren Möglichkeiten aber schon, die es gibt, wenn sich die Angehörigen überfordert fühlen, zusammen mit der Aussage, dass wenn der Rettungsdienst erneut kommt, der Patient dann aber (palliativ) wohl doch besser im KH aufgehoben wäre, wo man ggf. zeitnah auch auf Beschwerden reagieren / erneut Morphin geben kann. Ich erkläre je nach Situation auch, was weiter passieren kann, also dass z.B. längere Atempausen kommen können, dass auch mal Geräusche kommen können wie ein Röcheln, die aber nicht bedeuten, dass der Patient sich quält. Dass sie aber, wenn sie das Gefühl haben, dass er sich quält, natürlich jederzeit wieder anrufen können oder den KV-Dienst anrufen können. Und dass sie morgens auf jeden Fall den Hausarzt anrufen sollen. Dass sie bei Tod nachts den KV-Dienst (oder eben auch am nächsten Tag den HA) anrufen sollen.

    Wenn man in so einer Situation zu einer Entscheidung gekommen ist, ist es günstig, die Sache rund zu machen, sowohl im Protokoll als auch gegenüber den Angehörigen. Die konkreten Worte und Begründungen, warum man (gemeinsam) der Meinung ist, dass dieses Vorgehen im Sinne des Patienten ist, dieses Besprochene verwenden die Angehörigen auch hinterher im Gespräch mit anderen Angehörigen. Die Angehörigen können ggf. ja auch gegenüber irgendwem in eine "Rechtfertigungs-"Situation kommen in dem Sinn "warum habt ihr Opa nicht ins KH bringen lassen". Wenn man die Gründe schön mit denen besprochen hat, hilft man ihnen und beugt Konflikten (die auch auf einen selbst zurückfallen können) schon im Vorfeld vor. Sehr oft äußere ich meine konkrete Unsicherheit / Nichtwissen bezüglich der möglichen Ursache und stelle ggf. mehrere Ursachen dar, die plausibel wären, aber dass man das endgültig eben nur im KH abklären könnte. Und dass man darauf *bewußt* verzichtet im Sinne des Patienten. Wenn man den Patienten zuhause läßt, kann man auch Dinge erwähnen, die z.B. gerade dagegen sprechen, ihn ins KH zu bringen: Z.B. Stress durch die Beförderung / fremde Umgebung, Gefahr von KH-Infektionen.

    Ich würde mir in dem von dir geschilderten Fall wohl keine Transport-Verweigerung unterschreiben lassen ("gegen ärztlichen Rat"), sondern eher so dokumentieren, dass man gemeinsam zu der Entscheidung gekommen ist, dass dieses Handeln im Sinne des Patienten ist. Man kann es aber auch anders machen. Wenn man eine Vorsorgebevollmächtigte da hat, kann man der ja auch erläutern, dass der grundsätzliche ärztliche Rat eben die Behandlung im KH wäre, weil da zeitnah auf Bedürfnisse durch Fachpersonal reagiert werden kann, und sie einem sozusagen unterschreiben soll, dass das aber nicht gewollt ist. Ich hielte es in dem beschriebenen Fall nicht für angemessen.

    Über meinen Schreibtisch gingen eine Zeitlang alle Arzthaftpflicht-Fälle und in die entsprechende Richtung gehende Beschwerden, die meinen Arbeitgeber erreichten, darunter auch (sehr selten) rettungsdienstliche Fälle. Falls doch mal ein Behandlungsfehler-Vorwurf kommt, macht man es gerade im Rettungsdienst den Gutachtern vom MDK, der Schiedsstelle oder (am Ende entscheidend) den gerichtlich bestellten Gutachtern leichter, das Prozedere des Notarztes wohlwollend zu betrachten, wenn im Protokoll Befunde erhoben und dokumentiert sind, weil diese paar Zahlen einfach das sind, was im Bereich der insgesamt ja eher rudimentären Rettungsdienst-Doku ein sichtbares Bild sorgfältiger Arbeit gibt. Blutzucker, Körpertemperatur, ggf. Anzeichen für Schmerzen erhoben zu haben und z.B. den Verlauf der sPO2 erhoben zu haben, macht dann auch glaubwürdig, dass man mit den Angehörigen wirklich über die akute Situation und was man weiß oder nicht weiß gesprochen hat. Als Internist habe ich gern ein EKG und hätte das wohl auch in dem Fall schreiben lassen, während ich ja eh eine Menge reden und schreiben muß, aber ich finde es nicht vorwerfbar, dass du es unterlassen hast. Wie du richtig sagst, hätte es keine Konsequenz gehabt, außer dass man auch dieses Ergebnis im Gespräch mit den Angehörigen hätte verwenden können.

    Was nochmaliges Anrufen bei den Angehörigen angeht, finde ich es in dem Fall unnötig, weil dein Handeln eindeutig richtig war, aber machen kann man es, im Sinne einer freundlichen Nachfrage. Es wäre unter Umständen ja z.B. auch interessant zu wissen, ob sich die Angehörigen später mit der Situation doch überfordert gefühlt haben oder ob ihnen noch irgendwas anderes aufgefallen ist. Meine persönliche Abgrenzungs-Regel ist, dass ich solche Anrufe nur während der Arbeitszeit (also z.B. während einer Folgeschicht im NEF) mache. Ich halte mich mit solchen Nachfragen zurück, insbesondere, weil, falls mal doch was schiefgegangen sein sollte, so ein Anruf auch Angriffspunkte (in erster Linie emotional) bei den Angehörigen wecken könnte, aber erlebt habe ich es noch nicht. Aber im Rettungsdienst bekommt man ja sehr wenig Rückmeldung darüber, zu welchen Konsequenzen die eigenen Entscheidungen geführt haben. Ich finde, man lernt schon daraus, in bestimmten Fällen nochmal was zu hören. Wenn ich anrufe, begründe ich das auch genau so gegenüber den Angehörigen: Ich beginne das Gespräch damit, dass ich mich erkundigen wolle, was daraus geworden ist. Und ich beende das Gespräch mit der Erklärung, dass dies die einzige Möglichkeit für mich, auch eine Rückmeldung zu bekommen und ggf. auch meine Qualität zu verbessern. Ich wünsche dann alles Gute und tschüß. In der Form kommt das fast immer sehr gut an, und ich habe wirklich schon sehr interessante Rückmeldungen bekommen.

    Insgesamt hast du den Einsatz bestimmt adäquat und eher übersorgfältig abgearbeitet und brauchst keine Bauchschmerzen deshalb zu haben!
    Geändert von Pflaume (02.01.2020 um 20:18 Uhr)



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