Ich arbeite jetzt seit mehreren Jahren in der Akutpsychiatrie und muss dir ganz offen sagen: Das, was die Psychologen oder Psychotherapeuten bei uns machen, hat mit dem, was die Assistenzärzte bei uns machen, nichts zu tun. Das sind zwei völlig unterschiedliche Welten. Insofern: Nein, Psychologie oder Psychotherapie kann kein Ersatz für Medizin/Psychiatrie sein. Es kann eine Alternative sein, und es bietet sicher deutlich geruhsamere Arbeitsbedingungen, aber Ersatz ist es definitiv keiner. Es sind völlig andere Berufe mit völlig anderen Tätigkeiten und völlig anderem Arbeitsalltag.
Und ja, gerade im Bereich der Persönlichkeitsstörungen sollte die Palliativpsychiatrie eigentlich einen großen Stellenwert haben, hat sie aber meist (noch?) nicht. Es gibt nunmal viele Patienten mit schwersten Persönlichkeitsstörungen, die letztlich therapierefraktär sind. Natürlich ist das eine kleine Minderheit aller Patienten mit Persönlichkeitsstörungen, aber diese kleine Minderheit stellt eine große Belastung für jede Akutpsychiatrie dar. Manche davon sind eigentlich überhaupt nicht therapiefähig, andere spalten ihre negativen Anteile völlig ab, sind therapiefähig, aber kommen trotzdem alle paar Tage/Wochen/Monate auf die Akutpsychiatrie um dort ihre Anspannung und ihre negativen Affekte abzuladen. Ob es im gegenwärtigen System eine realistische palliativpsychiatrische Rolle für Psychologen oder Psychotherapeuten gibt, weiß ich nicht. Und falls ja, dann wahrscheinlich eher für Psychotherapeuten als für Psychologen.
Weil dich das so erstaunt/erschreckt hat: Das ist halt wie in jeder anderen Fachrichtung auch - warum sollte die Psychiatrie als einzige Fachrichtung in der Lage sein, jeden zu heilen?