Ärzte denken sich (wie andere Laien auch) häufig, wenn irgendwas ganz anders gelaufen ist als es sollte und sie es als "ganz schlimm" empfinden, dann ist das juristisch automatisch auch ein genauso großes Problem. Und andersrum denken sie, wenn jemand einen aus ihrer Sicht "verständlichen" Fehler gemacht hat, dass dann die juristischen Folgen auch nicht so schlimm sind. Das stimmt so halt nicht immer. Juristen denken anders. Ich bin auch kein Jurist und kann nicht formal juristisch prüfen und denken.
Aber wie autolyse sagt, muß erst mal ein Schaden da sein. Der Arzt und der juristische Laie denken sich, "woah, voll schlimm, da mußte das Rea-Team kommen! Weil die zu faul / zu blöd waren, den Patienten zu überwachen. Da hat jemand aber jetzt richtig Scheiße an der Hacke." Der Jurist dagegen schaut erst mal, ob ein irgendwie bezifferbarer (und nachweisbarer!) Schaden entstanden ist. Die oben erwähnte Beweislastumkehr bezieht sich nicht darauf, nachzuweisen, dass überhaupt ein Schaden entstanden ist! Sondern darauf, ob der konkrete festgestellte Schaden auch bzw. nicht eingetreten wäre, wenn dem medizinischen Standard entsprechend gehandelt worden wäre. Der Einsatz des Rea-Teams alleine bedeutet normalerweise noch keinen wesentlichen Schaden für den Patienten, und selbst wenn das Rea-Team nicht nur Akrinor oder Adrenalin gegeben und damit den Blutdruck wieder stabilisiert hätte, sondern tatsächlich richtig reanimiert hat, kann es sein, dass der Patient ohne wesentliche, nachweisbare bleibende Schäden aus der Sache rausgekommen ist. Kann sein, dass als Schaden dann ein um einen Tag verlängerter Krankenhausaufenthalt oder irgendsowas bei rum kommt - dafür lohnt sich der ganze Aufwand (auch der emotionale) eines zivilrechtlichen Prozesses für den Patienten nicht.
Auf der anderen Seite stehen so Fälle wie: "Patient hat eine Erkrankung mit Indikation für eine Antikoagulation. Im Krankenhausaufenthalt wurden diverse Medikamente umgestellt, das Konsil mit der Empfehlung der Antikoagulation liegt vielleicht noch nicht eingeheftet in der Akte, das Bett wird dringend gebraucht, der Dienstarzt entlässt den Patienten direkt nach (oder noch vor!) der Visite, schreibt nen kurzen Brief, während dem er dreimal unterbrochen wird, und vergisst in der Medikamentenliste die Antikoagulation, weil der Patient im Krankenhaus gar keine orale Antikoagulation bekommen hat und er nur schnell die Tbl-Liste aus der Kurve abgetippt hat, ohne an die Antikoagulation zu denken (die bisher mit Clexane erfolgt war, so dass keine entsprechenden Tbl. in der Kurve stehen, aber der Stationsarzt denkt in dem Moment einfach nicht dran und setzt sich auch nicht nochmal hin, geht gedanklich einen Schritt zurück und überlegt sich "Fehlt hier was?"). Vielleicht hat der Patient sogar selbst genervt, dass er JETZT SOFORT nach hause will, und den ganzen Stationsablauf beeinträchtigt. Patient geht nach hause, geht vielleicht nicht mal zum Hausarzt, drei Tage später hat er einen Schlaganfall, ist dauerhaft halbseitig gelähmt, pflegebedürftig und berufsunfähig." Solche Situationen kann sich jeder, der mal im Krankenhaus gearbeitet hat, vorstellen. Und man hat als Kollege irgendwie Verständnis dafür. Sieht es vielleicht deshalb auch nicht als "große Sache" an, auf jeden Fall eine kleinere Sache als das mit der Sedierung ohne Überwachung. Nur: Zivilrechtlich ist genau in *diesem* Fall die Kacke am Dampfen. Schaden: Halbseitenlähmung, Pflegefall. Enormer Schaden. Fehler: Keine Antikoagulation angeordnet, obwohl diese leitlinienrecht wäre und vom Konsiliarius empfohlen worden ist. Dieser Fehler ist unverrückbar dokumentiert, den entsprechenden Brief hat der Patient nämlich miterhalten. Schaden und Fehler sind festgestellt, jetzt geht es noch um die Kausalität zwischen Fehler und Schaden. Mit entsprechenden Studien untermauert wird ein Gutachter diese Kausalität möglicherweise feststellen, weil mit Antikoagulation das Risiko für so ein Ereignis viel viel niedriger gewesen wäre. Und dann heißt es: Zahlen bis der Patient stirbt. Für Pflege, Krankenversorgungskosten, Hausumbau, ggf. bis zu Unterhaltszahlungen usw. Obwohl noch nicht mal ein grober Behandlungsfehler festgestellt worden ist!
Das ist so wie mit dem PKW:
1) Jeder hat Verständnis dafür, dass eine junge Mutter oder ein junger Vater am Steuer sich einen kurzen Moment nach dem hinten plärrenden Kind umdreht. Wenn er dabei ein anderes Auto oder einen Menschen kaputt fährt, dann wird ihm wahrscheinlich eher nur eine leichte Fahrlässigkeit vorgeworfen und eine hohe "Bestrafung" wird es nicht geben, aber für den Schaden haftet er (bzw. seine Haftpflichtversicherung) trotzdem. Und dieser Schaden kann hoch sein.
2) Dagegen kann man mit 120 Sachen und stockbesoffen durchs Dorf rasen, dabei wild hupen und das ganze Dorf wecken, alle sehen es, alle regen sich auf, aber Schaden ist keiner entstanden, und ob überhaupt gerichtsfest nachgewiesen werden kann, *dass* man mit 120 und stockbesoffen gefahren ist, ist auch noch nicht sicher. Genau wie nicht sicher ist, dass selbst dann, wenn der oben genannte Patient einen Schaden geltend macht, nachweisen läßt, dass er nicht adäquat überwacht worden ist.
Ich habe als Student miterlebt, wie ein junger Patient bei einem elektiven "Routineeingriff" intraoperativ reanimiert worden ist und sich Anästhesie und Operateure abgesprochen haben, dem Patienten nach der OP nicht mal was davon zu sagen, um "ihn nicht zu beunruhigen".
Es müssen Schaden, Fehler und Kausalität zwischen Fehler und Schaden (oder Beweislastumkehr) zusammen kommen, und dann muß das alles auch noch gutachterlich / gerichtlich auch tatsächlich so bewertet werden.
Soweit meine Meinung. Ich bin wie gesagt kein Jurist. Autolyse wird bestimmt noch prägnanter war dazu zu sagen haben.