Ich teile die Meinung, alle deutschen Ärzte seien Fachidioten, ausdrücklich nicht. Auch in Deutschland gibt es gute Ärzte, die trotz Spezialisierung in der Lage sind, den gesamten Menschen nicht aus dem Blick zu verlieren. Die Fachidiotie ist allerdings ein in der Tat großes Problem.
Alley, Deine Argumentation ist verständlich, aber einseitig und kurzsichtig. Natürlich ist es wichtig, daß man den Mund aufmacht, Fragen stellt, sich um Weiterbildung bemüht usw.. Erstens ist es aber nicht überall so einfach möglich, und zweitens: Hey, wir reden eigentlich über dieselben Dinge, bloß ist es mein Anliegen, daß diese Dinge nicht immer im jeweiligen Einzelfall irgendwie geregelt werden, sondern daß klare Strukturen und Richtlinien erschaffen werden, die man nicht einfach so ignorieren kann.
Das Problem besteht darin, daß die Klinik, in der Du arbeitest, momentan nach wie vor eher die Ausnahme als die Regel darstellt. Zwar gibt es tatsächlich einen Generationenwechsel in den Chefsesseln, aber bei weitem nicht jeder "junge" Chef ist der Ausbildung verbunden, so wie es bei Deinem der Fall zu sein scheint. Ich spreche da aus Erfahrung. Geschlagene Kinder werden oft zu schlagenden Eltern. Es gibt auch jüngere Chefs, die die Linie der alten Schule weitgehend unverändert verfolgen, und primär darauf bedacht sind, daß "der Laden läuft"; die Weiterbildung ist da sekundär, und gerät daher für die Assistenten zur Glückssache. Und da kannst Du den Mund so oft und weit aufmachen wie Du willst - Du bekommst wenig bis gar nichts. Man kann vom Chef Weiterbildung nur fordern, wenn der Chef auch bereit ist, die Weiterbildung durchzusetzen. Wenn der Chef aber ausschließlich darauf bedacht ist, daß der Umsatz stimmt, dann wird beispielsweise die OP-Zeit aufs Knappste verplant; und wenn dann ein Assistent statt des Oberarztes einen Eingriff macht, gerät der Plan ins stocken. Die Folge ist, daß Assistenten so gut wie nie operieren dürfen, und wenn, dann nur eher kleinere Sachen, und auch die nur dann, wenn im OP-Plan etwas Luft ist, was aber selten passiert, s.o..
In großen Kliniken, vor allem Unikliniken in Großstädten, kommt noch erschwerend hinzu, daß zum einen relativ viele Assistenten da sind, unter denen OPs aufgeteilt werden müssen, und zum anderen die Standard-Eingriffe eher Seltenheitswert haben, denn wenn man schon eine Galle zugewiesen bekommt, dann oft mit irgendwelchen Komplikaitonen, die ein unerfahrener Assi nicht meistern kann. Die üblichen Anfänger-OPs werden aber meistens von kleineren peripheren Häusern versorgt.
Deswegen, aber auch aus dem Grund, daß es Kollegen gibt, die sich nur allzu gern auf seichtes Zeug beschränken, bin ich der Meinung, daß es wesentlich mehr Struktur im Weiterbildungssystem bedarf. Denn nur mit einer einheitlichen, von außen kontrollierten Srtuktur sind gute Ausbildungsbedingungen in nahezu allen Kliniken in relativ kurzer Zeit machbar. Ansonsten wird man auch weiterhin nur auf den guten Willen der Chefärzte angewiesen sein, und wenn man das tut, dann wird sich gute Ausbildung nur etablieren, wenn die Not groß ist, bzw. wenn der Generationswechsel weiter voranschreitet (vorausgesetzt, die "Jungen" wollen tatsächlich mehr weiterbilden, was m.E. bei weitem nicht immer der Fall ist). Das wird aber erstens zu lange dauern, und zweitens keine wirklich solide Grundlage haben. Und was keine solide Grundlage hat, ist meistens nicht von Bestand.
Deswegen bezeichne ich Deine Haltung als kurzsichtig. Klar kann und sollte man sich selbst um Weiterbildung kümmern (wir müssen uns nicht über Begrifflichkeiten streiten, oder?), aber es bringt nur dann etwas, wenn man auch, zumindest theoretisch, ein Druckmittel hat, um die eigenen Wünsche durchzusetzen. Dieses Druckmittel ist momentan der Ärztemangel, insbesondere der Nachwuchsmangel. Aber der wird nicht ewig bestehen. Momentan treibt die Befürchtung, sonst nicht genug gute Assistenten zu bekommen, immer mehr Chefs tatsächlich dazu, die Weiterbildung im eigenen Bereich zu verbessern. Aber wenn der Mangel vorbei ist, werden diese Verbesserungen nach und nach zurückgenommen, zugunsten des Umsatzes. Es sei denn, diese Verbesserungen werden festgehalten, und zwar in Form einer von außen kontrollierten Weiterbildungsstruktur mit Curriculum etc., inklusive einer unabhängigen Überwachungskomission, die nötigenfalls auch in der Lage wäre, Weiterbildungslizenzen zurückzunehmen, falls einer notorisch gegen die Auflagen verstößt. Das wäre ein wirklich dauerhafter und beständiger Stimulus, weiterzubilden; denn ohne Assistenzärzte kann auch in Deutschland kaum eine Klinik existieren.
Sorry für all das lange Geschwafel