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Aktive Benutzer in diesem Thema

  1. #1
    Redaktion Medi-Learn.net Avatar von Jens
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    1.632
    Hallo zusammen,
    Uta hat mir ein Bild samt schoener Geschichte dazu geschickt, die ich euch hier vorstellen moechte. Schaut euch VOR dem Lesen der Kurzgeschichte vielleicht zunaechst das eindrueckliche Bild an und achtet darauf, was ihr - OHNE die Geschichte zunaechst zu lesen - dabei denkt, was fuer Assoziationen und Gefuehle wie auch Erinnerungen euch kommen. Vielleicht mag der ein oder andere ja auch den Versuch wagen, zu dem Bild eine kurze bzw. seine kurze Geschichte zu schreiben.

    Was meint ihr zu der Geschichte und inwiefern unterschied sich die Geschichte von Uta zu Euren Gedanken, die beim Betrachten des Bildes auftraten?

    Viel Spass mit der Geschichte von Uta, die hier folgt:

    Die Alte

    Sie hat schneeweißes Haar und lächelt aus jetzt müden, früher sicher sehr wachen Augen in die Linse des Fotografen, die wahrscheinlich klarer ist als ihre eigenen, die, umringt vom Arcus senilis, trüb und trocken sind. Ihre Falten ziehen wie Wegesfurchen durch ihr Gesicht. Tief eingekerbte Erinnerungen an ein längst vergangenes Leben. Ihre Lippen sind schmal. Aus ihrer Nase ragen einzelne Haare. Die Augenbrauen sind licht, aber dafür sprießen an ihrem Kinn einzelne Barthaare, die weiblichen Hormone haben sich schon vor längerer Zeit verabschiedet.

    Sie wirkt zerbrechlich und liebenswert in ihrem weißen OP-Hemd, von dem Insider wissen, das es hinten offen ist. Über ihrer Schulter hängt lässig ihr bunter Morgenrock aus längst vergangener Zeit. In ihrer Hand hält sie einen Obstgartenbecher.

    Wer mag sie sein? Ob sie Besuch bekommt, dort wo sie jetzt verwahrt ist? Lebt sie glücklich in ihrer Erinnerung an früher, oder weiß sie nicht einmal mehr ihren Namen? Wurde sie schon oft entwürdigt, gedemütigt oder verletzt von Menschen, die viel jünger sind als sie und die sie nicht verstehen wollen? Die ihr das Gebiß am Abend aus dem Mund zerren und die für sie bestimmen wann sie schlafen soll und wann erwachen.

    Vielleicht denkt sie oft daran, wie ihre Haare sich im Wind um ihr glattes, junges Gesicht legten. Wie man ihr hinterher gekuckt hat, als sie sich früher zum Tanz begab. An ihren ersten Kuß, der sich so weich und neu anfühlte auf ihren vollen und sanften Lippen und der verboten aber doch so schön war. Vielleicht ist sie aber auch traurig, wenn sie an ihren ersten Verlust denkt, wie sich ihre schönen Augen mit Tränen füllten und sie diesen unsagbaren Schmerz fühlte zum ersten Mal und danach so oft in ihrem Leben. Vielleicht denkt sie an die Freundin, die letzte die sie verlor. Nun ist nur noch sie zurückgeblieben. Zurückgeblieben in einer Welt, die viel zu schnell, viel zu laut für sie ist.

    Vielleicht sollten wir uns öfter fragen wie sich der Wind auf ihrer Haut anfühlte, bevor wir ihr eine Nadel in den dünnen Arm jagen und zusehen, wie die Vene platzt, wie das Blut unter die Haut sickert. Vielleicht sollten wir ihr in die trüben Augen sehen und dahinter die leuchtenden erkennen.

    Vielleicht werden auch wir alt.
    ###########
    Uta Thielbein
    ###########
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  2. #2
    daniel
    Guest
    Die Geschichte gefällt mir sehr gut, denn ich finde viele eigene Gedanken darin wieder. Wie schützt man sich vor jungen, überheblichen Leuten, die die Weisheit des Alters nicht repektieren?
    Beim Arcus senilis musste ich schmunzeln, denn das wirkt sehr medizinisch. Woher stammt das Bild? Hat es einer von euch im Studium aufgenommen?



  3. #3
    Foren-Mitglied
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    49
    Die Frau, die alte, die weise.
    Ihre Augen liegen so tief in ihrem Gesicht und sind umrahmt von einem Kranz aus Falten. Manche davon kommen vom Weinen, aber viele, viele kommen von unzähligen Momenten voller Leben, voller Lachen. Auch jetzt noch formt sich ihr Mund zu einem Lächeln gepaart mit dem Erstaunen über eine schnelle Zeit.

    Ein dummes Mißgeschick wollte es, daß die alte Dame das wunderschöne Geburtstagsgeschenk ihres Sohnes gleich in den Wäschekorb werfen mußte. Das geblümte Nachthemd aus feinem, warmen Stoff wurde gleich nach dem Auspacken beim Frühstück angezogen, doch schon wenige Augenblicke später fand sich eine Tasse Kaffee darauf wieder zusammen mit einem Stück Geburtstagskuchen. Beides ergab einen unschönen Brei auf dem zuvor tadellosen Gewand und schon mußte es einem glanzlosen Flügelhemdchen des Wohnheimes weichen. Hinten rein zog es immer so, das mochte niemand, aber wenn gerade kein frisches Nachthemd zur Hand war bis zum Anziehen nach dem Bad, dann würde es schon gehen zum Frühstücken. Schwester Marlies ließ das beschmutzte Kleid geschickt im Korb verschwinden und half der Alten beim Umkleiden. Die Frau schätze es, daß sie es tat, ohne ein Wort zu verlieren, über das Mißgeschick. Wie bei vielen anderen Gelegenheiten auch, war sie zur Stelle und half hier und da mit vielen Handgriffen. Die Alte wußte, daß Marlies es war, die den Kuchen vom Bäcker für sie mit den schönen kleinen Kerzen geschmückt hattte und auch die Blumen, es waren Mohnblumen vom Feld, mußte sie auf dem Weg ins Wohnheim gepflückt haben für sie. Jetzt standen sie an ihrem Platz und die anderen Heimbewohner saßen im Kreis um den Tisch und sangen ein Lied.

    Das Leben der Frau war angefüllt mit so vielen Erlebnissen, was mochte ein weiterer Geburtstag noch bringen, ein weiteres Jahr noch für Überraschungen bereit halten. Wieviele Geburtstage hatte sie gefeiert unter Trümmern, auf der Flucht, zwischen Bombenhagel und Menschenleid.
    Sie wußte es nicht mehr.

    Doch der heutige Tag, das wußte sie, würde wunderschön werden. Ihre Kinder würden sie besuchen kommen mit den Enkeln zusammen. Und im Kreis ihrer Familie würde sie erleben, wie sich die Generationen nach ihr verändern, entwickeln.
    Und sie würde auch nicht vergessen, ab und zu einen Blick nach rechts zu werfen, einen verstohlenen, so daß es niemand merkte, wie ihr die Röte ins Gesicht steigt, wenn der Blick erwidert wird aus den Augen Alberts, der auch hier im Heim wohnt.

    Und gemeinsam gehen sie eine Allianz ein, das Lächeln und das Erstaunen und beschließen, dem Leben noch einiges abzugewinnen.



  4. #4
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    9
    oh, ist das schöön......... Großes Lob, die Geschichte hat mir unheimlich gut getan und -gefallen!!



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